Sehnsucht und Größenwahn

Ein Kollege teilt mir per Mail mit, Christian Felbers Werk sei „epochal“. Ein Schulbuch stellt Herrn Felber mit Marx, Keynes, Hayek und Friedman in eine Reihe. Im Internet kann man lesen, Karl-Heinz Brodbeck habe „das wichtigste Buch der Neuzeit“ geschrieben. Und Paul Masons gilt seit Postkapitalismus vielen als „der neue Marx“. Dass Mason es darauf durchaus anlegt, zeigt der Untertitel: Grundrisse einer kommenden Ökonomie. „Grundrisse“ – ja, wir verstehen. Thomas Piketty hat es mit Das Kapital im 21. Jahrhundert ganz ähnlich versucht. „Das Kapital“ – schon klar. Auch er war schnell „der neue Marx“. Es geht hier nicht um die Qualität der hier angesprochenen Texte, die uns gewiss alle irgend etwas zu sagen haben. Es geht um die Frage, ob es nicht auch eine Nummer kleiner geht.

Nein, es geht scheinbar nicht eine Nummer kleiner. Sobald halbwegs plausible (oder bisweilen total unplausible) Ideen zur Weltverbesserung aufgeschrieben werden, sind Superlative in letzter Zeit nicht weit. Epochal. Genial. Wichtigst. Marxsch. Das ist in vielen Fällen so, als vergleiche man den sehenswerten Film über Heini Staudinger mit Orson Welles‘ Citizen Kane. Oder Deadpool mit Indiana Jones. Oder Captain America: Civil War mit The Black Knight. Sie sehen: Nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich. Eben.

Basiert dieser Trend auf einem durch soziale Netzwerke befeuerten Aufmerksamkeitsökonomiewahnsinn? Vielleicht. Näher zu liegen scheint mir, dass hier eine übergroße Sehnsucht nach Lösung und Erlösung wirksam wird. Wenn die Welt sehr, sehr unübersichtlich wird, wächst offenbar der Wunsch danach, dass jemand bitte, bitte Antworten auf schwer oder gar nicht beantwortbare Fragen liefert. Der Orientierung vermittelt. Vielleicht entspricht die Hoffnung auf schnell ausgerufene Meisterdenker der Sehnsucht nach dem starken Mann, der durchregiert und Ordnung ins Chaos bringt. Das eine ist so gefährlich wie das andere. Und was man fragen darf: Ist es Zufall oder Methode, dass hier eigentlich immer nur von Männern die Rede ist?

Sei es wie’s sei: Man sollte sich nicht wundern, wenn Harald Welzer demnächst als der neue Jesus ausgerufen wird. Frisurtechnisch kommt das ja ungefähr hin, aber ansonsten wäre das ähnlich absurd wie die oben erwähnten megalomanischen Vergleiche. Was soll ich sagen? Marx ist tot. Nietzsche ist tot. Und mir ist auch schon ganz schlecht…