Die Lufthoheit unter den Stammtischen

Die Sache regt mich auf. So sehr, dass ich, statt Ulrike Lunaceks skandalöse Sexismus-Äußerung im aktuellen Falter zu kommentieren oder in der Sonne zu sitzen, an diesem schönen Samstag an Wachstum, Klimaschutz und Lobbyisten denke. In einem anderen Zusammenhang hat mal jemand gesagt, er räche sich an einem Gedanken, in dem er ihn an die Öffentlichkeit zerre. Also los.

Die Industriellenvereinigung (für die deutschen Lesenden: das ist eine Vereinigung von Industriellen) hat sich in die Diskussion um Klimaschutz und Wachstum eingeschaltet, die sich an der dritten Piste des Wiener Flughafen entzündet. Die Crème de la Crème der österreichischen Umwelt-, Klima- und Nachhaltigkeitsforschung hatte in einem offenen Brief angeregt, einen Verfassungsänderungsvorschlag zu überdenken, der unter anderem Wachstum als Staatsziel festlegen wollte (für die deutschen Lesenden: nein, das ist kein Witz). Nochmal zum Mitschreiben: Engagierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben politisch Handelnden nahegelegt, etwas zu überdenken. Mit jeder Menge Fachkompetenz im Rücken werden die Forschenden ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht: Sie sehen ein Problem und tun dies öffentlich kund. Gut so!

Und? Was passiert? Bringen die Angesprochenen ihre Dankbarkeit bei der Hilfe zur Entscheidungsfindung zum Ausdruck? Hört man aus Wirtschafts- und Gewerkschaftskreisen, dass man die geäußerten Bedenken zwar nicht teilt, sie aber ob der professoralen Intervention wenigstens berücksichtigen wird? Nein. Stattdessen lässt sich IV-Vize-Generalsekretär Peter Koren mit folgendem Satz im Standard zitieren: „Jene 30.000 Menschen, die allein durch die dritte Piste einen neuen Job finden würden, können sich bei diesen 40 Pragmatisierten schön bedanken.“ Es ist natürlich das gute Recht von Herrn Koren, so zu sprechen. Und gleichzeitig ist es staunenswert, wie groß die Vehemenz und tief das Niveau ist, auf dem hier gesprochen wird. Was erwartet die Industriellenvereinigung sich von der geballten wissenschaftlichen Kompetenz in diesem Land: Schweigen, wenn ein Problem gesehen wird, weil dadurch wirtschaftliche Interessen gefährdet sind? Nein, das kann ich mir nicht vorstellen.

Ich bestreite übrigens nicht, das muss vielleicht betont werden, dass es Argumente für Flughafenerweiterungen oder Wachstumsförderung geben kann. Natürlich kann es die geben – aber eben auch Argumente dagegen, die womöglich stärker sind. Der Punkt ist hier ein anderer: Dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für ihr Engagement scharf kritisiert werden, weil deren Meinung ökonomisch nicht opportun erscheint. Die Auseinandersetzung zeigt jedenfalls, dass Klimaschutz und Nachhaltigkeit rhetorisch zwar von praktisch allen Kräften in diesem Lande befürwortet werden, die Realisierung dieser Ziele aber ohne heftigen Streit nicht zu erreichen sein wird. Was in einer Demokratie natürlich kein Grund zum Jammern sein sollte.

Apropos Jammern: Laut wird das Jammern sein in Unternehmen und in Ländern, die sich dem Wandel in Richtung Nachhaltigkeit widersetzen und lieber an fossilen Technologien festhalten. Wer bei Klimaschutz und Nachhaltigkeit hinten liegt, wird in Zukunft auch ökonomisch nicht vorne sein können. Just in dieser Woche titelt der in dieser Hinsicht wohl unverdächtige Economist mit einem Ökologie-Thema – wie dieses liberale Wirtschaftsblatt überhaupt regelmäßig über Nachhaltigkeitsthemen berichtet. Eine bange Frage begleitet mich ins Wochenende: Liest man im Haus der Industrie den Economist?