Mitte der Zeit (3/5)

“If the Beatles or the Sixties had a message, it was to learn to swim.
Period. And once you learn to swim, swim.”
(John Lennon, 1980)

Mit dem Meisterwerk Tomorrow never knows von John Lennon sind wir mitten in 1966. Das Lied enthält Zeilen, die wie sich wie die Summe eines Jahres lesen:

Turn off your mind, relax and float down stream.
It is not dying. It is not dying.
Lay down all thought. Surrender to the void.

Loslassen, Drogen, Psychedelik, Timothy Leary, Spiritualismus, Leere. All das beschäftigt nicht nur Staffel fünf von Mad Men, sondern das Jahr. Was 1966 heraussticht, ist der Höhepunkt der musikalischen Ko-Evolution der Beatles und der Beach Boys. Der Blick auf die Genialität dieser Bands (die im Falle der Beach Boys fast ausschließlich auf Brian Wilson zurückgeht) zeigt, dass die Dichotomie für den Hausgebrauch – „Beatles oder Rolling Stones“ – völlig überschätzt wird. Wie sich Lennon / McCartney und Wilson gegenseitig beäugt und zugehört haben, ist für die Entwicklung der Popmusik weitaus wichtiger als die vermeintliche Konkurrenz zwischen den klugen Beatles und den wilden – und ja mittlerweile dinosaurierartig-zeitlos gewordenen – Rolling Stones. Auch die legen 1966 ein Album vor, das über den Tag hinaus weist: Aftermath ist ein Klassiker, der mit Brian Jones‘ instrumentellem Herumexperimentieren ebenso auffällt wie mit Klassikern wie Lady Jane, Under my thumb und Mother’s Little Helper (und in der US-Version auch Paint it, black).

Und doch wird auch dieses Album wie alle anderen Musikdenkmale des Jahres sonnenhell überstrahlt vom Beach Boys Album Pet Sounds und von Revolver von den Beatles. Pet Sounds, das ist bei weitem nicht der einzige Bezug zur Historie der Beatles, war eine Überforderung der Fans. Was die Beatles merkwürdigerweise erst 1967 mit Sgt. Pepper erlebten, bekamen die Beach Boys schon jetzt zu hören. Keine echte Beach Boys Musik sei das. War sie ja auch nicht, und in Tat und Wahrheit war das Projekt ein Brian Wilson Album, bei dem die Beach Boys mitsingen durften. Sie haben phantastisch mitgesungen, ohne Frage. Dennoch: Pet Sounds ist Brian Wilson. Die Platte war nicht nur jenseits von allem, was man vorher von den Beach Boys gehörte hatte – sie war jenseits von überhaupt allem, was man jemals gehört hatte.

Wie hier Musik gemacht wird, wie das Studio selbst als Musikinstrument ins Spiel kommt, wie hier auf welche Weise Instrumente, Stimmen und Geräusche und der rigorosen Regie eines Dreiundzwanzigjährigen zu einem an Schönheit kaum zu überbietenden Kunstwerk kombiniert werden… Ich weiß mit Steve Martin, dass über Musik zu sprechen so ist wie über Architektur zu tanzen. Also: Hören Sie sich’s an. Dasselbe gilt für Revolver. Als Album zwischen Rubber Soul und Sgt. Pepper steht es für einen Übergang, aber auch für einen Höhepunkt. Von Taxman und Eleanor Rigby über Yellow Submarine und Good Day Sunshine bis Got to get you into my life und dem von Don Draper nicht verstandenen Tomorrow never knows enthält dieses Album eigentlich nur singuläre Meisterstücke.

Pet Sounds hat Wilson im Wesentlichen produziert, als der Rest der Band in Japan auf Tournee war. Er selbst hasste die Bühne und hatte daraus zu dieser Zeit auch die Konsequenz gezogen, nicht mehr aufzutreten. Auftritte hießen Angst und Ablenkung, das Studio stand für Kreativität und Konsequenz. Wilson erfindet in gewisser Weise das Studio als Musikinstrument (was die Verdienste von Phil Spector nicht relativieren soll). Auch den Beatles geraten Tourneen zunehmend zu einer stressigen Aktivität, die vom Musikausdenken ablenkt. Revolver steht am Übergang zur Nicht-Bühnen-Zeit der Beatles. Wenn bei Marx das Kapital für einen „epistemologischen Bruch“ steht, dann wird diese Ehre, hört man genau hin, bei den Beatles Revolver zuteil. Mit Revolver beginnen sie Musik zu machen, die sich mit der damaligen Technik nicht auf der Bühne reproduzieren ließ – und es war wurscht.