Mitte der Zeit (4/5)

To know war is to know that there is still madness in this world.
(Lyndon B. Johnson, 1966)

Das Ende der Beatles-Bühnenkarriere mit dem letzten Konzert am 29. August 1966 hatte noch eine andere Ursache, die man als symbolisch für das Jahr sehen kann: Lennon hatte sich in den Augen einiger Amerikaner als Gotteslästerer betätigt, und das wurde mit durchaus wenig Humor aufgenommen. Er hatte gesagt, die Beatles seine populärer als Jesus. Interessant – und in der Medienwelt der 2010er Jahre völlig unvorstellbar – ist die Zeitverzögerung, die hier eine Rolle spielt. Das Interview mit Lennon wird am 4. März im Evening Standard, also in England, veröffentlicht. Reaktion in Europa, Amerika und anderswo: Fehlanzeige. Die kommt erst Monate später, und dann auch streng regional begrenzt: Viele Amerikaner kriegen sich nicht mehr ein, und das wird Folgen haben. Aber erst im Sommer.

Hier hatte ein Mann, der überhaupt gerne zu Scherzen aufgelegt war, etwas flapsig eine offensichtliche Wahrheit gesagt, die nicht allen passte. Was hier deutlich wurde: Der Mann hat noch anderes im Kopf als die Beatles, und er will mehr sein als der hypergeniale Songschreiber, der großartige Sänger und übel unterschätzte Rhythmusgitarrist. Auch das Klischee vom „politischsten Beatle“ ist ein Klischee mit Informationsgehalt. Bis zu Yoko Ono (die er übrigens 1966 kennenlernte), Bed Ins und anderen politisch motivierten Kunstaktionen sind es noch ein paar Jahre – aber der Mann weiß auch 1966 schon, was er tut. Und: Er hat, rein empirisch betrachtet, einfach recht. Im März des Jahres, in dem TIME mit der Frage „Is God dead?“ aufmacht und – auf Pet Sounds – mit dem Wunderwerk God only knows erstmal ein Popsongtitel mit „Gott“ beginnt, im März dieses Jahres kann kein Zweifel bestehen, dass die Beatles tatsächlich populärer sind als Jesus. Sie rangieren, zumindest in dem Moment, als Lennon seinen Sager ablässt, in der Popularität vor Elvis, vor dem Papst und vor Jesus. Sogar vor George Best, der 1966 Höhepunkte seines fußballerischen Schaffens erlebt.

Die (Nicht‑)Reaktion auf Lennons Aussage verrät etwas über die unterschiedlichen Befindlichkeiten dies- und jenseits des Atlantiks. Die USA hatten die British Invasion noch nicht ganz hinter sich, die ja 1964 mit den legendären Auftritten der Beatles in der Ed Sullivan Show angefangen hatte. Diese Shows waren, fragen Sie Billy Joel oder andere Zeitgenossen, gleichsam die Brücke zwischen den desaströs-depressiven Monaten nach der Ermordung John F. Kennedys und den besseren Zeiten, auf die man so sehnsüchtigst gewartet hatte. Dass vier anzugtragende Rocker aus einer im Abstieg befindlichen englischen Hafenstadt diese Zeiten einläuten würden, war nicht für jeden Amerikaner ein Spaß. Jedenfalls war die große Aufregung um den Jesus-Sager Lennons einer der Gründe für das Ende der beatleschen Bühnenpräsenz. Schon im September sucht Lennon sich eine andere Bühne: Die Dreharbeiten für How I won the war beginnen: Krieg und Kino statt kreischender Kids.

Auch für Krieg und Kino bedeutet 1966 eine Intensitätssteigerung. Explizite Brutalität erreicht im Kino eine Heftigkeit, die man vorher so nicht kannte. Was auch daran liegt, das der Italo-Western seinen Zenit erreichte: The Good, the bad and the ugly kommt in die Kinos – und Django. Dieser Film ist ohne Zweifel eine Innovation, was die Integration brutalster Gewalt ins Mainstream-Kino angeht. Nicht umsonst hat Quentin Tarantino diesem Werk vor einigen Jahren seine Referenz erwiesen. Und falls Sie sich je nach der Inspiration für die Ohrszene in Reservoir Dogs gefragt haben – schauen sie sich den Original-Django an…Was noch? Alfie. Who’s afraid of Virginia Woolf. Fahrenheit 451. Blowup. Seconds. Und, natürlich und vor allem im Fernsehen: Science Fiction!