Bescheidene Bedenken betreffend bedeutungsschwangerem Bullshit

Man darf fasziniert und verblüfft darüber sein, mit welcher Selbstsicherheit manche Menschen die Gegenwart beurteilen und die Zukunft vorhersagen. Da stellt ein Philosoph mit empörtem Unterton fest, dass den Leuten das eigene Leben wichtiger sei als das Überleben der Menschheit. Ungeheuerlich! Ein Zukunftsforscher dekretiert, dass nichts so sein wird wie zuvor. Nichts! Und ein Talkshow-Host herrscht sein Publikum via Facebook an, alle müssten jetzt alles hinterfragen. Alles!

Hinterfragenswert erscheint mir vor allem der schmale Grat zwischen Bullshit und Bedeutsamkeit. Zu gedanklicher Klarheit und Bescheidenheit regt die aktuelle Katastrophe offenbar nicht an. Wir sind doch noch mitten drin, und historische Zäsuren zeigen sich als solche bekanntlich erst im Nachhinein – woher nimmt man die Berufung zur Epochendefinition? Breitbeiniges Proklamieren beherrscht die Szene, nicht fragendes oder gar zögerliches Reflektieren.

Dabei träfe ruhiges Nachdenken in diesen interpretationsbedürftigen Zeiten womöglich auf eine Nachfrage. Der Soziologe Niklas Luhmann hat einmal geschrieben: „Von Kritik und Krise kann nur die Rede sein aufgrund eines hintergründigen Vertrauens, dass es auch anders gehen könnte.“ Da ist etwas dran, und das gilt sicher auch für unsere aktuelle, überaus missliche und total unübersichtliche Situation. Wir haben die Krise und hoffen natürlich, dass es danach besser wird. Anders wird es wohl werden, aber wie – das kann wirklich niemand wissen.

Bedarf nach klaren Ansagen besteht offenbar dennoch. Die schon vor dem Corona-Ausbruch überbordende Sehnsucht nach Übersichtlichkeit, Orientierung und einfachen „Lösungen“, sie scheint sich – wie das Virus – exponentiell zu vermehren. Ein ohnehin vorhandener Bekenntnis- und Befindlichkeitsjournalismus macht sich noch breiter. Ergänzt wird er durch etwas, dass man – siehe oben – durchaus als Protzpublizistik bezeichnen könnte. Man darf das alles vielleicht so zusammenfassen – excuse my French: Wir wandeln gerade auf sehr dünnem Eis, da ist das Vorzeigen allzu dicker Eier eher irritierend und womöglich wenig hilfreich.

Nie vorher war ich meinem Trafikanten (für die Deutschen: meinem Kioskbesitzer) so dankbar, dass er jeden Morgen eine Druckausgabe der Frankfurter Allgemeinen Zeitung für mich bereithält. Dass er das auch in diesen Zeiten verlässlich tut, macht ihn für mich zu einem der vielzitierten Helden der aktuellen Lage. Die Ruhe und Seriosität, die er in der Krise ausstrahlt, erscheint mir vorbildhaft – nicht nur für Trafikanten.