Denken und Schreiben im Ausnahmezustand.

Dass Krisenbewältigung gerade die allererste Priorität ist, bestreitet wohl niemand. Manche meinen freilich, deshalb sollte man über das Klima-Desaster und über die Vorgänge in Tirol später reden, nicht jetzt. Das ist, wenn ich das als Ökonom mal so sagen darf, ein falsches Opportunitätskostenargument. Richtig wäre es, wenn Denken und Schreiben auf Kosten der Bewältigung der Krise ginge. Das ist aber nicht der Fall.

Ähnliches gilt für die Lesenden. Niemand zwingt jemanden, irgendetwas zu lesen. In diesen Zeiten ist es doch besonders schön, etwas freiwillig zu tun! Und auch hier gilt: Man darf annehmen, dass der Konsum von Texten in keinem einzigen Fall zulasten der Katastrophenbewältigung geht. Wir sollten – gerade jetzt – die Freiheit zum Schreiben und Lesen nutzen. Dass sie derzeit in besonderer Intensität zum Absondern abstruser Gedanken genutzt wird, ist kein Argument gegen diese Freiheit.

Sicher ist es schwer auszuhalten, wenn gelangweilte Leute Verschwörungstheorien in die Welt setzen. Es kann schmerzen, wenn sichtlich inkompetente Menschen im Netz über Medizin, Sicherheitsfragen und Volkswirtschaftslehre räsonieren. Erlaubt sein müssen diese Äußerungen trotzdem.

Dasselbe gilt für das Aufarbeiten aktueller und langfristiger Probleme. Natürlich darf die Untersuchung der Vorgänge in Tirol nicht auf Kosten der medizinischen Versorgung und Forschung gehen. Aber es ist auch nicht hinzunehmen, mit welcher Dreistigkeit versucht wird, die Sache herunterzuspielen und dem Vergessen anheimfallen zu lassen. Und es ist auch nicht einzusehen, dass Leute, die eindeutig nichts Besseres (lies: im Sinne des Krisenmanagement Sinnvolleres) zu tun haben, sich nicht Gedanken über das Klimadesaster machen sollten. Unser Haus brennt immer noch. Man darf wohl sagen: Mehr denn je.

Jemand hat behauptet, jetzt zeige sich, wie wichtig Medizinerinnen und wie total unwichtig Gender-Professoren seien. Auch das scheint mir ein unökonomisches Ökonomieargument zu sein (das sich offenbar aus einer Abneigung gegen Gender Studies speist). Ja, aktuell braucht die Welt ganz dringend Medizin. Aber es erscheint doch – siehe oben – eher abwegig, das Notfallmanagement einer Gesellschaft gegen deren Reflexionsfähigkeit auszuspielen.

Hoffnung für die Zukunft speist sich wesentlich aus Reflexion, Wissen und dem Basteln guter Zukunftsbilder. Diese Dinge in Zeiten des Ausnahmezustands für überflüssig zu bezeichnen, ist eine falsche und gefährliche Fehlinterpretation unserer Lage.