Was ist Hoffnung?

Was ist Hoffnung?

Jedenfalls kein Optimismus. Es ist beileibe keine Wortklauberei, die bei­den auseinanderzuhalten – auch wenn Hoffnung und Optimismus in der Alltagssprache nahe beieinander liegen und nicht selten synonym ver­wendet werden. Hoffnung basiert auf einer Mischung aus verschiedenen Faktoren, zu denen nicht zuletzt Wissen und eine klare Analyse der Lage gehören. Optimismus dagegen ist, nun, nett, billig und im Vergleich zur Hoffnung konzeptionell etwas flach. In Terry Eagletons Buch über nicht-optimistische Hoffnung findet sich ein ganzes Kapitel über die „Banalität des Optimismus“. Hoffnung hat nichts mit der viel zitierten rosaroten Brille zu tun – Optimismus dagegen ist genau das: eine Färbung der Wahrnehmung, eine Ein­stellung, die sich durch Fakten nicht beein­drucken lassen will. Der Opti­mist glaubt daran, so formuliert es Gabriel Marcel, dass „die Dinge ‚sich einrichten‘ müssen.“ Und Eagleton spricht von „einer Art moralischer Hornhautverkrümmung“ und einer „Frage des Temperaments“; für ihn ist Optimismus eine „geistige Marotte“ und da­mit im Grunde dem Pessi­mismus fast ähnlicher als der Hoffnung. Opti­mismus sei keine Tugend – so wenig wie Sommer­sprossen und Plattfüße. Stets positiv zu denken sei so vernünftig wie die Maxime „‚Immer einen Mittelscheitel tragen‘“. Der Optimist, so Eagle­ton, sei „an seine Heiter­keit gekettet wie der Galeeren­sträfling an sein Ruder – eine ziemlich trostlose Aussicht.“ Deshalb lasse ich Spielarten des Optimismus wie die „Positive Psychologie“ im Fol­genden unberück­sichtigt.

Wer Hoffnung hat, verfügt über eine andere Perspektive auf das Kommende. „Ein habituell hoffnungsvoller Mensch“, so Terry Eagleton, „ist nicht in erster Linie jemand, der eine Vorliebe für bestimmte Emp­findungen hat, sondern einer, der prädestiniert ist, im Hinblick auf die Zukunft affirmativ zu handeln und zu reagieren.“ Wer Hoffnung prakti­ziert, geht nicht von einem guten Ausgang der Dinge aus, sondern kalku­liert ein mögliches Scheitern mit ein, und dabei gilt: „Tatsächlich ist es verdienstvoller, seine Hoffnung zu bewahren, wenn die Aussichten düs­ter sind. Abgesehen davon muss der Hoffende in der Lage sein, in den Abgrund möglicher Verhängnisse zu blicken, wovor der Optimist für gewöhnlich zurückschreckt.“

Eagleton benennt die Strukturidentität zwischen Pessimismus und Optimismus: „Wie der Pessimismus überzieht der Optimismus die ganze Welt mit einer Einheitsfarbe, blind gegen alle Abstufungen und Unter­schiede.“ Genau besehen sind Optimismus und Pessimismus also struktur­identisch – und strukturkonservativ. Man kann das kaum besser auf den Punkt bringen als Hans Magnus Enzensberger: „Auch die Apokalyptiker glauben ja an eine einwandfrei absehbare Zukunft, die keinen Zickzack­kurs kennt und keine Ungleichzeitigkeit zuläßt. Ihr Pessimismus ist ebenso gradlinig und phantasielos wie der Optimismus, der die Fraktion des unaufhaltsamen Fortschritts auszeichnet.“

Genau – und echte Hoffnung ist eben nicht gradlinig und phantasie­befreit, sondern operiert mit Umwegen (die auch hier die Ortkenntnis er­höhen) und Gedankenspielen. Platter Optimismus ist da, nun, wenig hilf­reich. „Der unbelehrbare Optimist“, schreibt Eagleton, „antwortet auf alles mit den gleichen vorprogrammierten Reaktionen und beseitigt auf diese Weise Zufall und Kontingenz.“ Der „unbelehrbare Optimist“ ist, genau besehen, ein Pleonasmus: Das Unbelehrbare ist ja gerade Charak­teristikum des Optimismus, das gleiche gilt für den emotionalen Pessi­mismus. Wer Hoffnung hat, ist dagegen belehrbar: fähig zum Lernen – und mit einem Gespür für das Offene und Kontingente, das Zufällige und Wundersame. Hoffnung ist fragend, tastend, zaudernd, zweifelnd – und sie kennt Kompromisse. Das klingt vielleicht langweilig und weniger sexy als großspurige Gesellschaftsverbesserungsutopien. Trotzdem gilt: Wer echte Hoffnung hegt, interessiert sich für die Möglichkeiten und Grenzen des Kommenden – und für den Raum zwischen Notwendigkeit und Unmöglichkeit. Hoffnung sieht die Grenzen des Wünschens – aber auch die Möglichkeiten des Anders-Seins.

Dabei die Möglichkeit zu Scheitern aktiv mitzudenken kann Baustein einer hilfreichen Erkenntnismethode sein. Aber es ist auch integraler Teil der Hoffnung. Hoffnung kann scheitern, sonst wäre sie nur Optimismus, der sich von den Fakten nicht beein­drucken lässt. Echter Glaube hat Platz für Zweifel, und ganz ähnlich schließt die Hoffnung die Erwägung des Scheiterns ein. Sonst, schreibt Eagleton, hätte sie „viel zu große Ähnlichkeit mit Gewissheit“. Darin liegt aber ein wesentlicher Unterschied zum Optimismus, der sich Scheitern, Untergang und Verderben nicht vorstellen kann. Hoffend kann man sich auch den worst case vorstellen – und sich trotzdem weigern, vor der Lage der Dinge gleichsam zu kapitulieren. Was die Hoffnung sich nicht vorstellen kann – das Unmögliche. Das Nicht-Mögliche kann ebenso wenig Gegenstand von Hoffnung sein wie das Notwendige, das Sichere: Hoffen können wir nur auf Dinge, die im weiten Feld zwischen Unmöglichkeit und Notwendigkeit liegen. Man hofft nicht auf etwas, das passieren muss. Aber eben auch nicht auf etwas, das nicht passieren kann.

Hoffnung ist also etwas ganz anderes als Optimismus. Echte Hoff­nung, darin ist Eagleton zuzustimmen, „muss durch Gründe untermauert werden.“ Und: Sie muss „fehlbar sein, im Gegensatz zur angeborenen Fröhlichkeit.“ Darüber hinaus, und das ist ein Dreh- und Angelpunkt der echten Hoffnung, wie sie hier verstanden wird, gibt sich Hoffnung nicht mit dem Stand der Dinge zufrieden. Wer Hoffnung hat, schaut nicht op­timistisch-fröhlich auf der Welt und beruhigt sich damit, dass sich sicher alles zum Besten wenden wird. Wer hofft, will sich an dieser Wende aktiv beteiligen – und dieser Wunsch basiert auf einer Unzufriedenheit mit der Lage. Hoffnung ist, wie wir noch sehen werden, unaufhebbar mit dem Wunsch nach Veränderung verknüpft. Wo Optimistinnen an den Fortschritt glauben, wollen Menschen mit Hoffnung die Transformation der Zustände.

Hoffnung ist somit, wie Terry Eagleton es mit Blick auf den Theo­lo­gen Karl Rahner formuliert, „eine Art permanente Revolution, deren Feind sowohl politische Selbstgefälligkeit wie metaphysische Verzweif­lung ist.“ Hoffnung habe etwas mit „radikaler Unversöhnlichkeit mit der Gegenwart“ zu tun. Dabei mag man an die Bewegung Fridays for Future denken, aber natürlich auch – ein paar Nummern größer – an die Arbeiterbewegung, antikolonialistische Befreiungsbewegungen oder die Frauenbewegung. Stets wirkt hier die Hoffnung für die Sehnsucht nach etwas ganz Anderem – und etwas viel Besserem.

Hoffnung wird hier also nicht als geistige Marotte oder emotional grundierte Vorliebe verstanden, sondern als Haltung zur Welt – einer Haltung, die sich mit der Lage der Dinge nicht zufrieden gibt, die auf Basis dieser Einschätzung reagiert und an einer besseren Zukunft arbeitet – und dabei strahlenden Erfolg ebenso für möglich hält wie desaströses Scheitern. Hoffnung will am Besseren arbeiten. Diese Interpretation ist durchaus anschlussfähig an (sehr) alte Vorstellungen von Hoffnung, wie man sie in zum Beispiel in philosophischen und theologischen Nach­schlagewerken finden kann. In der Antike galt Hoffnung als Antagonistin der Furcht – und ebenso wie diese als Leidenschaft. Für Christen ist die Hoffnung – so wie Glaube und Liebe – eine Tugend. Hier geht es aber vor allem um eine „weltliche“ Form der Hoffnung – eine, die auch ohne das Vertrauen auf einen Gott oder eine andere höhere Macht robust genug ist, in bedroh­licher Lage zu bestehen.

Dazu ist es erforderlich, den Zuständen klar ins Auge zu blicken – und dann aktiv zu werden. Noch einmal Eagleton: „Nur wenn wir unsere Situation kritisch beurteilen, halten wir es für nötig, sie zu ändern. Unzu­friedenheit ist gelegentlich ein Ansporn für Reformen. Dagegen wird Zu­versicht stets zu bloß kosmetischen Lösungen führen.“ Das ist ein ent­scheidender Punkt: Hoffnung ist viel radikaler als Optimismus. Wer optimistisch ist, für den ist das Wasserglas immer halb voll – wer hofft, will die Welt verändern.

Apropos Wasser – Eagleton schreibt: „Wahre Hoffnung brauchen wir, wenn uns das Wasser bis zum Hals steht, was von Optimisten allerdings meist geleugnet wird.“ Das passt gut zum Thema Klimaerwärmung, auch wenn nicht alle, die hier optimistisch sind, in die Kategorie „Klima­wandelleugner“ gehören. Jedenfalls steht uns das Wasser in nicht zu fer­ner Zukunft bis zum Hals (auf manchen Inseln ist das schon heute der Fall), wenn nicht entschlossen gegengesteuert wird. Und dieses Gegen­steuern braucht keine rosaroten Brillen und naive Technik- und Steue­rungsphantasien, sondern knallharte Analysen der Situation. Verleug­nung ist dem Frohsinn ähnlich. Und dieser ist, so Eagleton, „der Feind der Hoffnung, die logischerweise zur Genauigkeit verpflichtet ist, da sie fähig sein muss, die Lage exakt zu erfassen.“ Deshalb gilt: Wegsehen ist keine Lösung.

 

(Dieser Text ist ein leicht überarbeiteter Auszug aus dem Kapitel Grundlagen. Über Utopien, Verantwortung und Pessimismus des Buches Hoffnung.)