Kinokultur?

Kinokultur?

Fehlanzeige! In vielen Kinos wird gesprochen. Laut. Zu laut. Immer. Und eben nicht nur, wo das Sichdanebenbenehmen einfach dazu gehört: in Vorstellungen der Rocky Horror Picture Show. Wiener zumal machen sich akustisch auch dann bemerkbar, wenn nicht Dr. Frank N. Furter auf der Leinwand erscheint, sondern James Bond, der Joker, irgendeine tragische Figur aus einem Woody-Allen-Film oder aus einem französischen Melodram oder eine ausgebeutete Arbeiterin in einem Dokumentarfilm. So geht das nicht!

Wienerinnen reden natürlich auch im Kino. Dumme und politisch unkorrekte Vorurteile gehen an dieser Stelle leider als empirisch gehaltvolle Realitätsbeschreibungen durch: Im Apollo erklären die Männer ihren staunenden Frauen die komplexen – und dem Hausverstand eher schwer zugänglichen – Handlungsstrukturen von Actionfilmen mit Sylvester Stallone oder Bruce Willis. Und alle hören mit. Müssen mithören. Im Votiv versichern sich Lehrerinnen lautstark ihrer authentischen Betroffenheit über die Gemeinheit des Ehemanns im gerade abrollenden Beziehungsdrama oder die Zustände in Tansania, wenn ein Dokumentarfilm vorgeführt wird. Im Haydn erörtern zwei angehende Psychologen die komplexen Handlungsstränge des neuesten Woody-Allen-Films. Dabei gehört das, genau wie die beiden Herren, auf die Couch – und nicht in den Kinosaal. Das ist aber vielen Männern, Frauen, Lehrerinnen und Psychologen egal. Total egal. Ob Bond, Komödie, Drama oder Doku – immer wieder wird gequatscht.

Ich bin dagegen und will, dass sich das ändert. Jetzt. Sofort. Ich habe lange genug zuschaut. Zugehört. Zugewartet. Nicht mehr lange: In Kürze starte ich wohl eine neue Website, auf der die Kinohasser (und Kinohasserinnen auch), die in Wiener Lichtspielhäusern ihr Unwesen treiben, an das Licht der Öffentlichkeit gezerrt werden. Name and shame! Einige Fotos habe ich schon, genauer: Fotoserien. Sie zeigen meist drei, vier Mal die jeweiligen Kinohasser/i/n/n/e/n: Erst beim Reden, dann beim Ertapptfühlen und dann beim Empörtsein.

Man könnte jetzt natürlich mit externen Effekten und anderen Instrumenten aus dem konzeptionellen Folterkasten der Wirtschaftswissenschaften kommen, und vielleicht tue ich das irgendwann. Aber es geht im Kern um etwas anderes: Wir sind hier mitten im Unterschied zwischen Zivilisation und Kultur. Hier hat der Volksmund mal Recht: Zivilisation ist, eine Zahnbürste zu haben – Kultur ist, sie auch zu benutzen. Nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich, aber hier passt das: Zivilisation ist, dass es Kinos gibt. Kultur ist, sich dem Medium entsprechend zu verhalten, wenn man es benutzt. Und nicht, als säße man zu Hause vorm Fernseher, lautstark über die Qualität des Gesehenen zu lamentieren oder dem Lebensgefährten die Handlung zu erklären.

Wittgenstein sagt: Worüber man nicht reden kann, darüber muss man schweigen. Ich sage: Wo man nicht reden darf, da muss man schweigen. Rauchen Sie, wo sie wollen, fahren Sie, wenn es unbedingt sein muss, 70 in der 30er-Zone, reden Sie über das, was Sie bewegt – aber bitte, bitte nicht im Kino. Wenn doch, finden Sie Ihr Gesicht demnächst im Netz. Sie waren gewarnt!