Die Schönheit der Herausforderung. Der Papst und die Nachhaltigkeit.
Auch wenn man religiös unmusikalisch ist, kann man sich von der im letzten Jahr von Papst Franziskus veröffentlichten Enzyklika Laudato Si‘ beeindrucken und ansprechen lassen. Denn man ist unabhängig vom (Nicht‑)Glauben angesprochen: Diese „Öko-Enzyklika“ richtet sich ausdrücklich nicht nur an Christenmenschen, sondern versteht sich als Aufruf zum Dialog.
Der Text ist nicht ohne Probleme. Dass eine liberale Haltung zur reproduktiven Selbstbestimmung nicht zu den vatikanischen Kernkompetenzen gehört, ist bekannt und auch in dieser Enzyklika unübersehbar. Auch, dass zwar der Klimaweltrettungsoberguru Hans Joachim Schellnhuber, aber offenbar keine Ökonominnen oder Ökonomen am Text mitgearbeitet haben, stört etwas die Freude an diesem Text: Der Umgang mit ökonomischen Themen ist nicht selten polemisch und bisweilen auch inhaltlich nicht ganz trittsicher. Und man kann kritisieren, dass zumindest die deutsche Ausgabe bisweilen sprachlich holprig daherkommt.
Dennoch: Der Text hat was. Etwas, das man in Büchern oder Aufsätzen über Nachhaltigkeit selten bekommt. Bei allen Holprigkeiten ist es dabei dennoch vor allem die Sprache und der thematische Zugriff, den Laudato Si‘ zu einem Ereignis machen. Die Sprache: wuchtig, blumig – und, wie ich lernen musste, für religiös unmusikalische Menschen bisweilen unverständlich. Aber stark. Der Zugriff ist umfassend, man könnte auch sagen: interdisziplinär. Und vor allem: Der Papst hat hier immer den unauflöslichen Zusammenhang von ökologischen und sozialen Fragen im Blick. Es gibt wenige Texte, in denen dieser Zusammenhang so konsequent bearbeitet und durchgedacht wird. Nur zwei Beispiele (aus dem zweiten, Abschnitt V): „Ein Empfinden inniger Verbundenheit mit den anderen Wesen in der Natur kann nicht echt sein, wenn nicht zugleich im Herzen eine Zärtlichkeit, ein Mitleid und eine Sorge um die Menschen vorhanden ist.“ Auf der nächsten Seite heißt es, es sei „wahr, dass die Gleichgültigkeit oder die Grausamkeit gegenüber den anderen Geschöpfen dieser Welt sich letztlich immer irgendwie auf die Weise übertragen, wie wir die anderen Menschen behandeln.“
Bedenkens-wert sind auch Passagen über Technologie, Unternehmensverantwortung, Fülle, Effizienz, Gemeinwohl oder den Wert der Natur. Wenn eine verbreitete „tiefe und wehmütige Unzufriedenheit“ angesprochen wird, ist das nur ein Beispiel für eine Vielzahl von Formulierungen, die das Ringen um Nachhaltigkeit anregen und weiterbringen können. Laudato Si‘, anders kann man es nicht sagen, spricht eine Sprache, die man selten hört, wenn über Nachhaltigkeit gesprochen wird.
Neben der konsequenten sozial-ökologischen Perspektive geht die Enzyklika auch in anderer Hinsicht über die meisten Texte zum Thema Nachhaltigkeit hinaus: Er thematisiert immer wieder die Bedeutung von Schönheit. Unter anderem spricht der Papst von der „Schönheit der Herausforderung“ – eine Perspektive, die sich wohltuend von der Katastrophenrhetorik mancher Nachhaltigkeitsbewegter abhebt. Ein lieber Kollege hat einmal formuliert, dass es nicht Aufgabe von Sozialwissenschaftlern sei, Hoffnung zu generieren. Damit hat er Recht. Hoffnung muss von woanders her kommen. Vielleicht aus Texten wie dieser Enzyklika. Man muss nicht religiös veranlagt sein, um Laudato Si‘ in diesem Sinne zu verstehen.
Dieser Text ist im Zusammenhang mit einer „Tiefenbohrung“ zu Laudato Si‘ entstanden. Ich danke Paloma Fernández de la Hoz und Klaus Gabriel.