Willkommen im Anthropozän.

Willkommen im Anthropozän.

Wie viele Medien berichtet auch der Economist in dieser Woche, dass es nach langen Diskussionen endlich klappen könnte mit der offiziellen Umbenennung des aktuellen Zeitalters in „Anthropozän“. Zuständig ist die Geologie. Die Anthropozän-Debatte hat diese Naturwissenschaft gezwungen, sich mit gesellschaftlichen Fragen auseinanderzusetzen. Auch ein Zeichen der Zeit.

Die Erkenntnis, dass wir im Zeitalter des naturumwälzenden Menschen leben, wird also womöglich offiziell. Ehrlich gesagt: Diesen Vorgang kann man für überschätzt halten. Auch die fachwissenschaftlichen Interpretationsunterschiede, die Diskussionen über den zeitlichen Beginn des neuen Zeitalters oder der Versuch, den Begriff „Capitaloscene“ durchzusetzen – alles sehr interessant, aber wohl von begrenzter Relevanz. Denn die Debatte über das Verhältnis von Mensch und Natur hat den Begriff ja längst aufgenommen. Der Economist hat uns schon 2011 im Anthropozän willkommen geheißen und die Geschichte, siehe oben, gleich auf den Titel gehoben. Alle reden vom Anthropozän – damit wird der Begriff für die gesellschaftliche Auseinandersetzung über Nachhaltigkeit relevant. Dass die Geologie dem Begriff wissenschaftliche Bedeutung zuspricht, ist gut und schön – hilft aber vielleicht nur bedingt bei der Frage danach, was es eigentlich bedeutet, im Zeitalter des Menschen zu leben.

Jedenfalls sind wir Zeugen einer erdgeschichtlichen Umwälzung, an der der Mensch aktiv beteiligt ist. Aber was heißt das? Vor allem heißt es, dass man es mit einer „nachhaltigen Paradoxie“ zu tun hat: Einerseits nämlich verdankt sich die neue Ära der technisch bewehrten Macht des Menschen, die Natur zu verändern. Von Autos mit Verbrennungsmotoren über Traktoren und Bulldozern zu Flugzeugen und gigantischen Infrastrukturen reicht die Liste der Artefakte, mit denen der Mensch die Natur umgräbt, umwälzt und umgestaltet. Diese Macht ändert die Natur und damit auch die Lebensbedingungen des Menschen Und sie wird Spuren hinterlassen. Der aktuelle Economist bebildert seinen Beitrag mit einem Atompilz…

Gleichzeitig aber ist diese Ära von einer Ohnmacht gekennzeichnet, die nicht weniger existenzbedrohend ist als die eben skizzierte Macht. Diese Ohnmacht liegt darin, dass es dem Menschen trotz seiner naturverändernden Kapazitäten nicht gelingt, sich wirksam vor Naturveränderungen und Naturkatastrophen zu schützen. Wir sind auf sehr grundsätzliche Weise der Natur ausgeliefert. Der Mensch kann sie (massiv) verändern, aber er kann die Natur nicht (erfolgreich) steuern.

Christoph Görg bringt das in einem Text mit dem schönen Titel „Zwischen Tagesgeschäft und Erdgeschichte“ exakt auf den Punkt. Görg spricht in seinem Beitrag für GAIA von einer „Dialektik der Naturbeherrschung“, die mit dem Anthropozän in eine neue Phase eingetreten sei: „Zwar hat sich die Menschheit die Erde ‚untertan‘ gemacht, aber sie ist immer weniger in der Lage, ihre Naturverhältnisse zu kontrollieren.“

Gleichzeitig haben sich, wie man bei Leuten wie Ingolfur Blühdorn nachlesen kann, gesellschaftliche und politische Verhältnisse in einer Weise gewandelt, die überdeutlich in Richtung „Nicht-Nachhaltigkeit“ weisen – und gerade nicht dazu angetan sind, mit der Anthropozän-Situation „nachhaltig“ umzugehen. Wenn man sich den aktuellen Diskurs über nachhaltige Entwicklung anschaut, muss man sich fragen, ob nicht versäumt wurde, die gesellschaftlichen Bedingungen von „Nachhaltigkeit“ angemessen in den Blick zu nehmen.

Dass „Nachhaltigkeit“ heute überall zu sein scheint, ist Teil des Problems. Aber auch, dass bei allem bombastischen Gerede über große Probleme und große Ziele die wirklich heißen Themen oft gar nicht zur Sprache kommen. Auch darum wird es hier in nächster Zeit gehen. Und auch im nächsten Buch.