Zukunftsfähigkeit nach Corona (1/2): Wesentlichkeit und Achtsamkeit

Gewiss hat die Corona-Krise die Gesellschaft auf eine heftige Probe gestellt – aber was das langfristig bedeutet, ist höchst unklar und offen. Ob wir einen Epochenbruch erleben, wird sich erst noch zeigen. Lernen lässt sich trotzdem schon heute etwas – gerade für Nachhaltigkeit und Verantwortung.

Zum Beispiel dies: Politik kann auf Wissenschaft hören und tief in die Wirtschaft eingreifen. Und: Ein Modell für die Klima- und Nachhaltigkeitspolitik ist Corona trotzdem nicht, denn es ist demokratiepolitisch, und unter gegebenen Bedingungen auch ökonomisch und sozial, ein Katastrophenprogramm. Und: Abwägung ist besser als Angstpolitik. Und: Corona hat die alte Forderung der Nachhaltigkeitswissenschaft nach Interdisziplinarität aktualisiert. Schließlich: Der Populismus der einfachen Lösungen ist gescheitert und bis auf die Knochen blamiert – wer einfache Lösungen verspricht, scheitert spätestens dann, wenn’s drauf ankommt.

So gesehen war Corona ein „Moment der Wahrheit“ – ein Punkt, an dem sich bestimmte Dinge gezeigt haben, ein Verstärker. Hier liegt Potenzial für die Nachhaltigkeit – gesellschaftlich, gesamtwirtschaftlich und unternehmerisch. Business as usual gab es aus Nachhaltigkeitssicht schon vor der Krise nicht. Mit der Corona-Erfahrung dürfte diese Einsicht zum Gemeingut werden.

Unternehmen müssen und können Teil der Transformation zur Nachhaltigkeit sein – und dabei ökonomisch höchst erfolgreich sein. Zum Beispiel, indem sie den Begriff der Wesentlichkeit ernst nehmen – ein Begriff aus der Rechnungslegung, der für die Nachhaltigkeitsberichterstattung sehr wichtig geworden ist. Wesentlichkeit (in einer eher schrägen Übersetzung des Begriffs materiality: Materialität) zielt dort vor allem auf die Bedürfnisse der Stakeholder und die Wirkungen unternehmerischen Handelns ab. Der Begriff weist aber weit über diese Felder hinaus: Denn die Fokussierung auf das Wesentliche ist – ja: wesentlich, wenn man erfolgreich sein will.

Wer nicht fokussiert, riskiert Verzettelung: Das kennt jeder Mensch aus dem Arbeitsalltag – das gilt aber auch für eine Organisation, die erfolgreich sein will. Wer das Wesentliche sehen will, muss auch innehalten können – muss achtsam sein. Man muss nicht immer sofort eine Antwort, eine Lösung, ein Konzept parat haben. Gerade nach der Krise ist Achtsamkeit ein Schlüsselkonzept für Nachhaltigkeit, Verantwortung und Erfolg – nicht als esoterische oder weltfremde Phantasie, sondern als sehr handfestes Konzept zum Management von Wirkung.

Innehalten schützt vor Schnellschüssen. Apropos: Ein sehr bekannter US-amerikanischer Politiker beantwortet Fragen der Medien üblicherweise „wie aus der Pistole geschossen“. Der Premierminister des nördlichen Nachbarn seines Landes hat neulich gezeigt, dass es anders geht – ganz anders: Justin Trudeau ließ sich bei einer bereits legendären Pressekonferenz 21 Sekunden Zeit, um eine Frage zum südlichen Nachbarn zu beantwortet:

21 Sekunden können in diesen Zeiten also eine gefühlte Ewigkeit sein. Zögern und Zaudern können zweifellos die Qualität von Antworten und Entscheidungen positiv beeinflussen. Dass das als Sensation gilt, ist vielsagend. Eines jedenfalls lässt sich hier lernen: dass es manchmal essentiell ist, Raum zu lassen. Fortsetzung folgt – übermorgen.