Zukunftsfähigkeit nach Corona (2/2): Nicht-naive Resilienz

Zukunftsfähigkeit nach Corona (2/2): Nicht-naive Resilienz

Achtsamkeit für das Wesentliche hat damit zu tun, Räume zu schaffen, Platz zu machen, Offenheit zu organisieren. Diese Aktivitäten sind gleichzeitig Beiträge zur Resilienz – der wohl stärksten konzeptionellen Brücke zwischen Corona-Krise und Nachhaltigkeit. Der Begriff hat im letzten Vierteljahr eine unglaubliche Karriere gemacht. Er steht – zugespitzt formuliert – für die Fähigkeit, Belastungen auszuhalten, ohne kaputt zu gehen: Das gilt für Menschen ebenso wie für Materialen, technische Artefakte, Ökosysteme, ganze Gesellschaften und natürlich auch für Unternehmen.

Organisatorische Resilienz hat zwei zentrale Faktoren: Vielfalt und Redundanz. Das mit der Vielfalt ist bekannt und bei gutem Willen auch halbwegs realistisch durchsetzbar. Das gilt zum Beispiel für die wichtigen Felder Produktionsketten und Personalmanagement. Vielfalt ist (fast) Mainstream.

Für die Redundanz gilt das dezidiert nicht: Sie widerspricht dem Leitbild der Effizienz und damit herrschender ökonomischer Logik. Redundanz heißt, nicht alle Ressourcen bis zum Anschlag auszuschöpfen, sondern Puffer einzubauen, über Lagerbestände zu verfügen, Reserven anzulegen und Spielräume zu lassen und zu schaffen. Corona hat gelehrt, dass dies von existenzieller Bedeutung ist.

Das in unternehmerische Praxis zu übersetzen ist nicht einfach, aber auch nicht unmöglich. Es lohnt sich, dieses Thema ernst zu nehmen – und auch dabei nicht aus dem Auge zu verlieren, was wesentlich ist und was un-wesentlich und also verzichtbar ist. Diesen Fokus braucht man, wenn man an Nachhaltigkeit und Resilienz interessiert ist. Dann kann Resilienz vom abstrakten Prinzip zur gelebten Praxis werden.

Dabei ist es wesentlich, an einem dynamischen und nicht-naiven Resilienzbegriff zu arbeiten. Dynamisch: Resilienz steht nicht für Stabilität und Bewahrung des Bestehenden, sondern für die Fähigkeit von Systemen (zum Beispiel: Unternehmen), Störungen abzupuffern und bei Belastungen nicht zusammenzubrechen, sondern sich weiterzuentwickeln. Zugespitzt: Resilienz ist nicht starr, sondern flexibel. Nicht-naiv ist ein Verständnis von Resilienz, das nicht den Kontext vergisst und vom Bewusstsein geprägt ist, dass auch die Resilienz – wie die Nachhaltigkeit – zu einem Unternehmen „passen“ muss, um zu gelingen.

Resilienz nicht als Allheilmittel für und „Ritterrüstung“ gegen Probleme zu sehen, ist gerade in diesen Wochen und Monaten dringend nötig. Die deutsche Soziologin Stefanie Graefe schreibt in ihrem sehr lesenswerten (und sehr resilienzkritischen) Buch Resilienz im Krisenkapitalismus von der Aufgabe, „den Katastrophismus zu kritisieren, ohne dabei die Katastrophe aus dem Blick zu verlieren“ – eine Haltung, die ohne Zweifel sehr gut zu Corona-Krise und Klimadesaster passt.

Am Ende ihres Buches mit dem sprechenden Untertitel Wider das Lob der Anpassungsfähigkeit schreibt Graefe, wir seien im Zeichen der Resilienz aufgefordert, „uns nicht anzupassen und abzufinden mit der Welt, in der wir leben, sondern im Gegenteil darauf zu bestehen, dass wir sie verändern können – nicht etwa, weil wir vollständig souverän und rational oder aber ausgesetzt, ohnmächtig und unwissend wären, sondern weil ‚wir‘ beides sind: autonom und abhängig, verletzlich und (trotzdem) handlungsfähig, unwissend und vernunftbegabt.“ In diesem klaren Ambiguitätsbewusstsein ruft Graefe zur Kritik an den Verhältnissen auf.

Das lässt sich natürlich als theoretische und politische Agenda deuten, und so meint die Soziologin das wohl auch. Mir scheint aber offensichtlich, dass diese Sicht der Dinge auch unternehmerisch von größter Relevanz ist. Auch auf dieser Ebene ist ein Blick für die Widersprüchlichkeiten wichtig, wenn Konzepte wie Resilienz, Achtsamkeit und Nachhaltigkeit produktiv gemacht werden sollen.