Gemeinwohl und Wissenschaft
Bei Christian Felbers Version der Gemeinwohl-Ökonomie geht es darum, wie die Welt sein soll. Das ist ihm nicht vorzuwerfen, leistet aber eben auch keinen theoretischen Beitrag zum Verständnis der Welt.
Sein und Sollen sind auseinanderzuhalten – das ist eigentlich etwas für Erstsemester. Zur Wissenschaftlichkeit gehört es auch, Quellen offenzulegen. Dass das Standardwerk For the Common Good von Daly und Cobb – Erstauflage 1989! – in Felbers Gemeinwohl-Ökonomie nicht zitiert wird (sondern erst in der englischen Ausgabe 2015), ist bemerkenswert. Studierenden würde man so etwas nicht durchgehen lassen, Bestseller-Autoren aber schon: einer der Unterschiede zwischen Wissenschaft und Weltverbesserungsliteratur.
Dass das theoretische Fundament der Gemeinwohlbewegung dünn ist, haben auch die Zuschreibungen in der „Schulbuch-Posse“ gezeigt. Mich als Mainstream-Ökonom zu bezeichnen, ist wahrscheinlich eine Beleidigung für Mainstream-Ökonomen. Dass auch diese in der Debatte ordentlich ins Schleudern kommen, zeigt der TV-Auftritt von Ex-IHS-Chef Christian Keuschnigg, in dem dieser Keynes und Marx zu Nobelpreisträgern befördert. Soll man lachen oder weinen?
Dass der Nobelpreis offenbar die Menschen verwirrt, zeigt sich auch an Christian Felbers Rhetorik. Weist er sonst stets (korrekterweise) darauf hin, dass der Wirtschaftspreis kein „echter“ Nobelpreis ist, erwähnt er in jüngster Zeit gerne, dass die englische Ausgabe der Gemeinwohl-Ökonomie das Vorwort eines Nobelpreisträgers enthält. Wer dann den eher fragenden Kurztext von Eric Maskin liest, kann ratlos zurückbleiben.
Oder auch nicht. Denn hier liegt des Pudels Kern: Wissenschaft wird von der Gemeinwohl-Bewegung selektiv und situationselastisch immer dann herangezogen, wenn das der Reputation und Legitimation zuträglich ist (in eine ähnliche Richtung hat vor einiger Zeit Michael Amon argumentiert). So muss man wohl auch einen nonchalanten Hinweis Felbers im Standard auf Schumpeter lesen. Nein, Schumpeter hätte gewiss nicht „seine helle Freude“ gehabt, wenn man ihm ein „vollständiges Alternativmodell“ vorgesetzt hätte! Dass methodischer Zweifel und die Vorläufigkeit jeder Erkenntnis Dreh- und Angelpunkt wissenschaftlichen Weltverstehens sind, wird von Felber vollständig ausgeblendet.
Dass er „wissenschaftliche“ Zitate gerne mit dem Hinweis auf den „Hausverstand“ mischt, macht die Sache nicht besser. Ein genauer Blick in seine Bücher zeigt: Hier wird wissenschaftliches Wissen gleichzeitig überhöht, instrumentalisiert, verachtet und ignoriert – und eklektizistisch zurechtgewurschtelt, bis es ins Gemeinwohlweltbild passt. Wissenschaft dient hier nicht dazu, die Welt besser zu verstehen, sondern wird als rhetorische Munition für einen vermeintlich guten Zweck missbraucht. Damit stoßen wir auf die Grundlagen des Felberschen Gemeinwohlkonzepts: die Verwechslung von „gut gemeint“ mit „gut gemacht“ und von Meinung mit Wissen. Damit steht Felber im unguten Kontext der politischen Korrektheit (PC), die auf Gutfühlen und moralisches Rechthaben setzt, sich aber um gedankliche Stringenz nicht schert.
In seiner Auseinandersetzung mit PC schreibt der Philosoph Carlo Strenger: „Die Wut auf die Forschung resultiert (…) oft aus dem Zorn darüber, dass man selbst nicht aktiv an Diskussionen teilnehmen kann, wenn man die relevanten intellektuellen Mittel dazu nicht hat – ganz unabhängig von der politischen Orientierung.“ Strenger meint die amerikanische Rechte, aber hier liegt auch ein Schlüssel zum Verständnis der Gemeinwohl-Ökonomie, und die Beiträge in den sozialen Netzwerken zur aktuellen Debatte belegen die Relevanz dieses Satzes auf dramatische Weise (und zeigen, wie dringend wir gute Schulbücher brauchen…).
Dass versucht wird, fehlende intellektuelle Mittel durch das Aufzählen von Buchveröffentlichungen und Unterstützern zu kompensieren, verdeutlicht ebenfalls den Unterschied zwischen Weltverbesserungspraxis und Weltverstehenstheorie. Natürlich darf Felber darauf verweisen, dass er 15 Bücher geschrieben hat und dass Helga Kromp-Kolb und Konrad Paul Liessmann seine Ideen toll finden. Herzlichen Glückwunsch dazu – im wissenschaftlichen Ringen um ein besseres Verständnis der Welt gibt es dafür aber leider nur: null Punkte.
Dass ein (theoretisches wie praktisches) „Weiter so“ für diese Welt keine Option ist, wissen alle. Nutzen wir also die kritische Kompetenz der Wissenschaft, um die Möglichkeiten und Grenzen einer Transformation in Richtung Nachhaltigkeit auszuloten. Ein solcher Suchprozess ist dem Gemeinwohl sicher zuträglicher als ihre taktisch motivierte Instrumentalisierung für „vollständige Alternativmodelle“.