Wachstum und Technologie: "Rebound" und andere Komplikationen

Wachstum und Technologie: „Rebound“ und andere Komplikationen

Wachstum ist ein Schlüsselbegriff, wenn man Dinge wie Wirtschaft(spolitik), Entwicklung(spolitik) und Nachhaltigkeit(spolitik) verstehen will. All diese Sachen werfen schwierige und interessante Fragen auf. Gut, dass es dazu bald eine sehr, sehr coole Konferenz in Wien geben wird. Für Gespräche auf dieser Konferenz, aber auch für den Hausgebrauch ist es nützlich, ein paar Begriffe schon mal gehört zu haben. Im Folgenden deshalb ein (zugegeben: zu langes und schon oft veröffentlichtes) Stück zu Technologie, „Rebound“ und Entkopplung.

Beim Reden über Wachstum sollte man zwischen wirt­schaftlichen, ökologischen und sozialen Größen zu unterscheiden. Wie sich Bruttoinlandsprodukt, Umweltverbrauch und Lebensqualität zu­einander verhalten, ist von fundamentaler Bedeutung dafür, wie es weitergehen kann. Dass das „Makrogrößen“ sind und also das Wachstum von Einzelunternehmen auch in einer „nachhaltigen“ Wirtschaft nicht ausgeschlossen ist, ist ebenso von Bedeutung. Dass in vielen Bereichen der Wirtschaft (erneuerbare Energien drängen sich als Beispiel auf) Ex­pansion notwendig ist, dürfte klar sein. Dass das am Ende nicht „aus­rei­chen“ wird, wohl auch.

Materielles Wachstum ist in einer endlichen Welt auf Dauer unmög­lich. Das wissen alle; gleichzeitig wird das Ziel immerwährenden Wirt­schafts­wachstums nicht aufgegeben. Viele Ak­teure gehen davon aus, dass man immer mehr Güter und Dienst­leistungen produzieren kann, ohne dass das zu mehr Umweltverbrauch führt. Wie soll das möglich sein? Durch wirtschaftlichen Wandel. Technischer Fort­schritt kann öko­logisch positiv wir­ken, wenn durch Verbesserungen der Technik mehr Wert aus der Natur „herausgeholt“ wird. Und: Verschiebungen in der Bedeutung unterschied­licher Wirtschaftssektoren können ebenfalls öko­logisch positiv sein. Eine postindustrielle Wirt­schaft, die vor allem auf Wissen und kulturelle Dienstleistungen und das Internet setzt, steht möglicherweise ökologisch besser da als eine Öko­nomie, in der Werte vor allem durch industrielle Landwirtschaft und die Herstel­lung von Autos generiert werden.

Diese Form des Wandels steht heute im Zentrum fast jeglicher Um­welt-, Wirtschafts- und Technologiepolitik. Es gilt zumindest im parla­mentarischen politischen Mainstream als ausgemacht, dass auch in einer endlichen Welt das Wachstumsziel nicht aufgegeben werden darf. „Ent­kopplung“ ist deshalb ein Konzept, das sich in fast allen wirtschafts- oder umweltpolitischen Statements findet. Nur wenn das Bruttoinlands­produkt (BIP) sich von der Expansion des Umweltverbrauchs entkoppeln kann, ist Wirtschaftswachstum in einer endlichen Welt überhaupt dauerhaft mög­lich. In diesem Zusammenhang ist es von allergrößter Wichtigkeit, sehr genau hinzuschauen: Meist ist nämlich von relativer Entkopplung die Rede, und die bedeutet einfach, dass der Umweltverbrauch lang­samer wächst als das BIP. Worauf es aber zumindest in den reichen Län­dern dieser Welt ankommt, ist „absolute Entkopplung“. Für die Natur ist es egal, wie sich menschliche Eingriffe relativ zur Werte­produktion ver­hal­ten. Entscheidend ist: Der Verbrauch an Material, Energie und Fläche muss reduziert werden, genauer: Er muss drastisch reduziert werden. Wollte alle Welt so leben wie der durchschnittliche US-Amerikaner – wir bräuchten, das hat man schon gehört, mindestens drei Planeten. Das ist nach dem Stand der Dinge aber keine Lösung und eben deshalb kommt es darauf an, den Naturverbrauch in den OECD-Ländern deutlich herun­terzufahren.

Technologische Optimisten gehen davon aus, dass technische Mittel in der Lage sind, die Welt zu retten – zum Beispiel Atomkraft, Smart Grids oder Nanotechnologie. Technologische Pessimisten warnen davor, dass diese Sichtweise bei Nichteintreten optimistischer Techno­lo­gie­erwartungen zu desaströsen Folgen führen kann und halten das Lö­sungs­potential technischer Mittel für begrenzt. Technologischer Opti­mismus gründet sich im Wesentli­chen auf drei Mechanismen: Preisänderungen, Substitutionsmöglich­keiten und technischen Fortschritt. Veränderte Knappheiten führen dem­nach zu Preisänderungen, durch die Märkte die relevan­ten Knapp­heiten „an­zeigen“. Wird beispielsweise Rohöl knapper, so führt dies the­oretisch dazu, dass ein höherer Preis dies auch anzeigt. Dadurch entsteht der An­reiz, Technologien einzusetzen, die diesen Roh­stoff produktiver nutzen, oder auf andere Rohstoffe auszuweichen. Die­ser Optimismus speist sich nicht zuletzt aus der Erfahrung, dass es seit der indus­triellen Re­volution stets gelungen zu sein scheint, Ressourcenengpässe und Um­weltprobleme durch den Einsatz technischer Mittel zu „lösen“. In der Vergangenheit ist das tatsächlich oft gelungen. So zei­gen die Struk­tur­veränderungen nach den Ölkrisen der 1970er Jahre, dass höhere Preise zu effizienteren Technologien geführt haben. Angesichts der Breite und Komplexität der aktuellen Ressourcen-, Umwelt-, Klima- und Technologieprobleme ist es freilich heikel, Erfah­rungen der Vergan­genheit in die Zukunft zu extrapolieren.

Davon abgesehen sollten einige grundlegende Zusammenhänge be­achtet werden, die die langfristige Problemlösungskapazität von Entkopplungsstrategien betreffen. Erstens ist es aus heu­tiger Sicht unmög­lich, „etwas aus nichts“ zu produzieren, und es spricht nichts dafür, dass dies einmal anders sein könnte. Zweitens bezie­hen sich Entkopplungen von Umweltverbrauch und Wirtschafts­leistung nur auf Veränderungen der von Periode zu Periode anfallenden Ströme. Dies sagt aber noch nichts über den „akkumulierten Bestand“ der Umweltbelastung aus – zu berücksichtigen sind auch bereits vorhandene Belastungen der Umwelt (die Rolle von CO2 beim Klimawandel ist ein einschlägiges Beispiel). Wenn die Tragfähigkeit von Ökosystemen überlastet ist, muss das Unter­schreiten dieser Tragfähigkeit Zielsetzung sein, und dies wird durch eine Entkopplung nicht per se gewährleistet. Drittens können zu Entkopplung führende Effizienzgewinne stets durch die Wachstumsraten des Inlands­produkts überkompensiert werden, so dass relative Entkopplung nicht zu absoluter Entkopplung führt. Hier liegt ein tief greifendes Grundproblem im Verhältnis von Effi­zienz, Wachstum und „Nachhaltigkeit“. Das Wett­rennen zwischen Zielen und Mitteln, zwischen Problemlagen und Inno­vationen gleicht möglicherweise einem Hase-und-Igel-Rennen.

Der Ökonom William Stanley Jevons postu­lierte in seinem Buch über die Coal Question bereits Mitte des 19. Jahr­hunderts im Hinblick auf die produktivere Nutzung von Energieressour­cen einen Zusammenhang, des­sen Bedeutung für die „Nachhaltigkeit“ kaum überschätzt werden kann. Jevons ver­trat die Auf­fassung, dass eine ökonomischere Verwen­dung von Kohle zu einem Anstieg des Verbrauchs führen würde: „Es ist eine völlige Verwir­rung der Ideen, zu glauben, dass der wirtschaftliche Ge­brauch von Treib­stoff mit seinem verminderten Konsum gleichzuset­zen ist. Das genaue Gegenteil ist der Fall.“ Eine wirtschaftlichere Nut­zung von Kohle, so Jevons, könne deren Verbrauch gerade nicht reduzie­ren. Der wirtschaft­lichere Einsatz selbst sei es, der zu einer Verbrauchs­zunahme führe – heute nennt man dies auch das „Jevons-Paradox“.

Die Beobachtung, dass erhöhte Effizienz zu einem absolut höheren Verbrauch führen kann, hat vor allem in der Debatte über Möglichkeiten und Grenzen von Energieeffizienz-Strategien eine wichtige Rolle ge­spielt. Das Jevons-Paradox, beziehungsweise – das ist heute der übli­chere Begriff – der „Rebound-Effekt“, führt dazu, dass relative Effizienz­stei­ge­rungen nicht zu einer Reduktion des Gesamtverbrauchs führen, weil auf die mit Effizienzverbesserungen verbundenen Kostenreduktio­nen mit Verbrauchserhöhung reagiert wird. Reduzierte Preise führen also zu einem erhöhten Konsum entweder der effizienter genutzten Ressource oder anderer materieller Güter.

Dies wirft auf gesamtwirtschaftlicher Ebene sehr grund­legende Fragen nach der Bedeutung auf, die technische Innovationen und Effizienz für eine absolute Reduzierung des gesamten Material- und Energiedurch­sat­zes haben können. Einzelwirtschaftliche Dematerialisierungsprozesse können also noch so erfolgreich sein – solange gesamtwirtschaftliche Expansion die Ef­fekte dieser Dematerialisierung „auffrisst“, ist, ökologisch betrachtet, zwar Zeit gewonnen, das Ziel einer absoluten Verbrauchs­reduktion aber nicht erreicht. Statt von „Dematerialiserung“ könnte man auch von „Dekarbonisierung“ sprechen. Das ist nicht dasselbe, aber näher am so wichtigen Klimathema – und ähnlich herausfordernd.

Hier wie dort ist der im ökologischen Diskurs so hoch gehan­delte Rebound-Effekt vielleicht eher ein Nebenkriegsschau­platz, wenn man sich die Sache aus der Vogelperspektive anschaut. Auch ohne den Rebound-Effekt – der sich ja auf die Folgen gezielter Effizienzsteigerun­gen bezieht – gibt es expansive Tendenzen, die weitaus mächti­ger zu sein scheinen als mikroökonomische Effizienzaushebelungs­hydrauliken. Die paradoxe Wirkung ökolo­gisch motivierter Einsparungen ist wichtig – weitaus wichtiger sind mak­ro­ökonomische Expansionsprozesse, die mit dem klassischen Re­bound-Effekt freilich so gut wie nichts zu tun haben, son­dern wesent­lich auf Innovationen und Produktivitätszuwächse zu­rück­zuführen sind.

Zu­ge­spitzt: Wenn man „nachhaltig“ wirtschaften will, sollte man die Ziellosigkeit der End­los­schleife von Knappheitsbekämpfung und Wachs­tums­folgen angehen und sich nicht auf Probleme konzentrieren, die aus den Widersprüchlichkeiten indi­vidueller Sparmaßnahmen resul­tieren. Reiche Gesellschaften müs­sen sich darauf einstellen, mit weniger oder gar ohne Wirtschaftswachstum auszukommen. Daran werden auch die Seg­nungen der „virtuellen Ökonomie“ des Inter­nets wenig ändern. Nein, global und lang­fristig betrachtet ist es aller­höchst unwahrschein­lich, dass uns die Tech­nik und der Strukturwandel allein „retten“ werden.