Joker
„Der Joker ist bekanntlich oft ein Irrer.“ (Michel Serres)
Ich fange zwar mit einem Zitat aus Serres‘ Der Parasit an, doch ich muss zugeben: Weder mit dem Buch selbst noch mit der darin enthaltenen „Theorie des Jokers“ kann ich sehr viel anfangen. Aber zwei Dinge nehme ich doch mit. Erstens: Geld ist ein Joker. In den Worten von Serres: „Das Geld ist der jokerhafteste aller Joker, der Joker, den man das allgemeine Äquivalent nennt. (…) Vom Geld kann man stets sagen: es ist etwas anderes.“ Das macht den praktischen und theoretischen Umgang mit Geld, nun, kompliziert. Geld ist, um diesen theoriegeschichtlich würdevollen Ausdruck zu verwenden, eben mehr als ein „Schleier“. Es hat, mit Serres, etwas Jokerhaftes, etwas Anarchistisches. Und ist, wie man beim Soziologen Niklas Luhmann nachlesen kann, ein extrem fluides symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium (klingt nicht nur cool, stimmt auch). Man kann sich für Geld buchstäblich (fast) alles kaufen. Manche sagen, die Wirtschaft mache deshalb so viele Probleme, weil Geld zu gut funktioniere.
Zweitens: Der Joker hat auch darüber hinaus eine Funktion, wie man sie vom Kartenspielen kennt – er hat etwas Mehrdeutiges. Das macht ihn methodisch interessant, insoweit er etwas dezidiert Unmethodisches an sich hat. Serres: „Der Joker ist ein unverzichtbarer, faszinierender logischer Gegenstand.“ Und, sehr schön: „Die einzig mögliche Unterscheidung zwischen einer Methode und dem, was man Bastelei nennt, ist eben der Joker.“ Es geht hier also nicht um den Joker als technologische Wunderinnovation, der zum Beispiel das Klima vor Überhitzung schützt. Auf die Technik kann man sich im Zweifel nicht verlassen. Worauf man sich verlassen kann: Wenn man sich mit Dingen wie Nachhaltigkeit beschäftigt, bekommt man es regelmäßig mit Dingen wie Unsicherheiten, Ambiguitäten, Widersprüchen und Paradoxien zu tun. Deshalb ist es gut, Humor ins Spiel zu bringen und also Joker – in dem Sinne, dass es Leute gibt, die Witze machen.
Joker hat aber noch eine andere Bedeutung, die über das reine Witzemachen hinausgeht – Joker heißt nämlich (in England eine Zeit lang zumindest) auch: Hofnarr. Und der war bekanntlich dafür da, die Wahrheit zu sagen – ohne dass er dafür gleich einen Kopf kürzer gemacht wurde. Hofnarren waren, so kann man bei Wikipedia lesen, „soziale Institutionen zulässiger Kritik.“ Der Hofnarr verbindet Humor und Wahrheit, wenn man so will. Für Unternehmen gilt das übrigens auch. Beauftragte für Corporate Social Responsibility oder Nachhaltigkeitsmanager sind bisweilen Leute, die sich wie Hofnarren vorkommen oder auch tatsächlich diese Rolle spielen. Wer glaubt, dass Nachhaltigkeitsmanager die Nachhaltigkeit managen, glaubt bekanntlich auch, dass Zitronenfalter Zitronen falten. Echte Hofnarren würden der Sache gut tun. Nachhaltigkeit braucht mehr Hofnarren: Die Wirtschaft hat Verwendung für Joker. Nicht nur Unternehmen brauchen Leute, die straflos Dinge sagen, die sich „nicht gehören“, auch die Gesellschaft hat solche Menschen nötig. Und so etwas wird gebraucht. Richard Rorty hat Recht: „Die Zivilisation schreitet nur deshalb voran, weil manche Leute willens sind, befremdliche, irrationale und verstörende Töne anzuschlagen.“
Apropos Töne: Der Joker spielt auch in einem Hit der Everly Brothers eine Rolle – in Bird Dog geht es um eine durchaus ambivalent bewertete Person, die als Vogel, Hund und eben Joker bezeichnet wird. Einer der Everly Brothers (Don, der ältere) hat mal gesagt, das Lied sei so logisch wie Be-Bop-A-Lula (ein alter Gene-Vincent-Knaller). Aber darum geht’s ja auch: Nicht um Logik, sondern um Spiel. Damit, etwas auf den Begriff zu bringen, was sonst nicht auf den Begriff zu bringen ist.
Weitaus düsterer, wenn wir schon bei einer kleinen Kulturgeschichte des Jokers sind, geht’s im Film zu. „Joker“ hieß die Hauptfigur in Stanley Kubricks Full Metal Jacket, beileibe keine Komödie. Und, für viele wohl der Joker aller Joker: Heath Ledgers Performance in Christopher Nolans The Black Knight (für die er, leider posthum, den Oscar bekam [Jack Nickolson war in der gleichen Rolle in Tim Burtons Batman von 1989 auch nicht eben schlecht]). Wer sie gesehen hat, vergisst sie nicht. Sein Joker irritiert ganz im Sinne des Eingangszitats von Serres – und geht doch sehr weit über einen simplen und bequem zu verortenden Irren hinaus. Dass man in Ledgers Joker etwas Eigenes wiedererkennen kann, macht diese Figur ebenso faszinierend wie unangenehm.
(Überarbeitete Fassung eines Textes, der erstmals in Öko-Populismus erschienen ist.)