Avanti, Dilettanti! Über den Beitrag der Quacksalberei zum besorgniserregenden Zustand der Welt.

Ehre, wem Ehre gebührt! Wie ich gestern gelesen habe, war Gerald Hüther für das „Goldene Brett vorm Kopf 2017“ nominiert. Ins Finale hat er’s nicht geschafft. Aber da der Mann – neben Persönlichkeiten wie Donald Trump und Christian Felber – eine wichtige Rolle im Kapitel „Quacksalberei“ spielt, nehme ich das zum Anlass, hier endlich etwas aus dem Buch Ausnahmezustand zu veröffentlichen:

„People in this country have had enough of experts“ – diesen Satz hat Michael Gove bekanntlich im Zusammenhang mit der Brexit-Abstimmung geäußert, und bekanntlich ist er damit durchgekommen. Ja, viele Leute haben genug von Expertinnen. Nein, gut ist das nicht. Politischer Dilettantismus braucht keine Expertinnen. Die bisweilen erschütternd niedrige Qualität öffentlicher Diskussionsbeiträge ist gewiss nicht der geringste Faktor für den Schlamassel, der uns umgibt. Das gilt für die Mainstream-Politik, aber auch für wirtschaftspolitische Debatten und leider auch für manchen ambitionierten sozial-ökologischen Reformvorschlag. Oft ist hier die Dummheit eine Verbündete der Bequemlichkeit, und fast immer sind es Männer, die das überbordende Orientierungs- und Sicherheitsbedürfnis der Leute für ihre eigenen Zwecke nutzen.

Die Situation hat, darauf weist Carlo Strenger in seinem Buch Zivilisierte Verachtung hin, auch eine wichtige Korrektheitsdimension: „Wir alle wünschen uns Filme von genialen Regisseuren, hoch qualifizierte Ökonomen an der Spitze der Zentralbank und Piloten, die harte Prüfungen bestanden haben. Die Logik der politischen Korrektheit ist insofern einfach nicht kohärent: Komplexe moderne Gesellschaften funktionieren ohne Spitzenleistungen einfach nicht, daher müssen wir alle in einem gewissen Ausmaß mit der Erfahrung der Unterlegenheit zurechtkommen.“ Von den hier zitieren Spitzenleistungen, von denen wir angesichts des bedrohlichen Ausnahmezustands jede Menge dringend brauchen, sind wir auf manchen Feldern durchaus weit entfernt. Gerade Zeiten großer Unsicherheit schaffen offenbar einen Markt für Leute, die es nicht so genau nehmen, auf dieser Basis aber jede Menge steile Aussagen absondern.

Bei diesem Thema kann man sich getrost an Wikipedia halten. Quacksalber, steht da, sei ein volkstümlicher Ausdruck für eine Person, die ohne die nötige Qualifikation und Befugnis der Heilkunde nachgeht. Der Kurpfuscher ist ein eng verwandter Begriff, auch hier geht es um mangelnde fachliche Eignung und die negative Bewertung der Qualität einer Dienstleistung. Wer dubiose Heilmittel und -methoden einsetzt, darf hier eingeordnet werden. Wer Albert Serras Der Tod von Ludwig XIV. (mit dem großen Jean-Pierre Léaud als sterbenden König) gesehen hat, kennt derlei Gestalten aus dem Kino. Auch hier geht ein Quacksalber vulgo Kurpfuscher zu Werke, und am Ende ist der König tot. Gut, auch „richtige“ Ärzte konnten beim damaligen Stand der Medizin der Sache nicht Herr werden. Aber Quacksalberei war schon damals gefährlich – und sie ist es nach wie vor.

Ja, derlei gibt es auch heute, und viele der Quacksalberinnen nutzen den Ausnahmezustand für ihre Zwecke, denn: Eine der zentralen sozialpsychologischen Charakteristika dieses Zustands ist, dass ob der verbreiteten Unsicherheit eine stark erhöhte Nachfrage nach Orientierungs-„Wissen“, guten Nachrichten und Wohlfühldiskursen herrscht. In allen Bereichen der Gesellschaft sind die Quacksalberinnen deshalb auf dem Vormarsch. Mehr dazu Anfang 2018 im „Ausnahmezustand“. Wie sagt eine der Hauptfiguren dieses Buches so schön: „I have words. I have the best words.“ To be continued…