Sieben Bücher für den Krisenmodus.

Sieben Bücher für den Krisenmodus.

Man ist in diesen Tagen einer Flut von Informationen, Interpretationen und Interventionen ausgesetzt, die die Orientierung nicht eben leicht macht. Nicht verrückt zu werden ist manchmal schwer – den Überblick zu behalten, ist schlicht unmöglich. Gut, dass es etwas gibt, das nicht nur informiert, interpretiert und interveniert, sondern auch zum Selbstdenken anregt und bisweilen sogar Hoffnung machen kann: Bücher! Es folgt eine Liste von sieben Texten, die hier und heute – wie eine berühmte Politikerin wohl sagen würde – hilfreich sind. Ja, es sind nur Autoren. Das nächste Mal sind es nur Autorinnen – versprochen.

  1. Leben im Büro von Christoph Bartmann (2012)

Einfach ein großartiges Buch. Bürokritik als Gesellschaftskritik. Voller überraschender Einsichten, brillant geschrieben. Zitat: „Weil uns das Büro gestattet, Mensch zu sein, hören wir auch in unserer Freizeit nicht auf, im Büro zu sein. Das Gegenwartsbüro ist ein Pyrrhussieg der Freiheit. Das Büro mag ein Nicht-Ort sein, aber es hat uns erfolgreich domestiziert.“ In Zeiten exzessiver Home-Office-Aktivitäten liest man so etwas mit frischer Neugierde. Dies auch: „Gegen die Enteignung unserer Arbeitswelt durch voreingestellte Formatierungen, Formulare, Instrumente, Werkzeuge und sonstige subtile, als Erleichterung getarnte Regenten hilft allein Kritik.“ So ist es. Ein Meisterwerk – nie war es so wertvoll wie heute. Der Text verdient unsere volle Aufmerksamkeit. Apropos:

  1. Ökonomie der Aufmerksamkeit von Georg Franck (1998)

Schon über 20 Jahre alt, aber nach wie vor von beißender Aktualität. Unter anderem schreibt Franck: „Soll wirklich an eine ökologische Umkehr des Wirtschaftens zu denken sein, dann muß sich das wirtschaftliche Streben auch von der subjektiven Seite her ändern. Das Geldverdienen darf dann nicht länger die Hauptrolle im Leben spielen. Es ist illusorisch, diese Umorientierung von einer massenhaft einkehrenden Bereitschaft zur Abstinenz zu erwarten. Wenn es einen Ausweg aus der Fixierung auf das Materielle gibt, dann nur innerhalb der hedonistischen Grundorientie­rung.“ Innerhalb! Apropos Geldverdienen:

  1. Der Mythos des Sisyphos von Albert Camus (1942)

Jetzt lesen ja alle Camus‘ Pest. Der Sisyphos hält aber auch jede Menge erwägenswertes Zeug parat. Dies hier zum Beispiel: „Man gewöhnt sich so rasch. Man will Geld verdienen, um glücklich zu leben, und die ganze Anstrengung, die beste Kraft eines Lebens konzentrieren sich auf den Erwerb dieses Geldes. Das Glück wird vergessen, das Mittel wird Selbstzweck.“ Ein Klassiker. Apropos:

  1. Masse und Macht von Elias Canetti (1960)

Ohne Zweifel auch ein Klassiker. Auf der Rückseite meiner Ausgabe wird Karl Heinz Bohrer mit der Auffassung zitiert, man werde diesen Text „alle zehn Jahre von neuem lesen müssen.“ Es ist wohl so weit. Gleich der allererste Satz Canettis passt in diese Zeit: „Nichts fürchtet der Mensch mehr als die Berührung durch Unbekanntes.“ Starker Tobak, schwere Kost, aber brillant geschrieben und mit fast 600 Seiten die ideale Quarantäne-Lektüre. Apropos Quarantäne:

  1. Über Tyrannei von Timothy Snyder (2017)

Eine Warnung und, wie der Untertitel annonciert, ein Ratgeber: Zwanzig Lektionen für den Widerstand. Dem Historiker Snyder geht es um die Normalisierung des Ausnahmezustands. Wesentliche Quelle seines Buches ist sicher das Unbehagen über Donald Trump – es hat uns dennoch auch etwas über das aktuelle Unbehagen zu sagen. Und über Normalität. Zitat: „Wer dir versichert, Sicherheit sei nur um den Preis der Freiheit zu haben, will dir in der Regel beides verwehren.“ Apropos Freiheit:

  1. Imperiale Lebensweise von Ulrich Brand und Markus Wissen (2017)

Eines der wichtigsten Bücher der letzten Jahre: ein sehr erhellender Text über die Art, wie man im Westen lebt und wirtschaftet und über die tiefsitzende Nicht-Nachhaltigkeit der „imperialen Lebensweise“. Dieser Begriff, so die Autoren, „verbindet den Alltag der Menschen mit den gesellschaftlichen Struk­turen.“ Und er bringt auf den Begriff, wie Alltag und Strukturen daran beteiligt sind, dass die westliche Lebensweise auf Kosten anderer Regionen und auf Kosten der Umwelt geht. Auf gut wienerisch: Es geht sich nicht aus. No way. Pflichtlektüre für alle, die aus dem aktuellen Desaster etwas Gutes machen wollen. Das gilt auch für die Nummer

  1. Nachhaltige Nicht-Nachhaltigkeit von Ingolfur Blühdorn (& Team) (2020)

Eine messerscharfe Analyse der Frage, warum die „imperiale Lebensweise“ so schwer zu transformieren ist. Das hier und heute dominante „Idealbild eines guten und erfüllten Lebens“, schreibt Blühdorn dort, wird „mit sicherem Berechtigungsbewusstein eingefordert oder verteidigt“ – und steht doch eindeutig „in eklatantem Widerspruch zu dem, was bewe­gungsorientierte Diskurse als die große Transformation zur Nachhaltig­keit und als gutes Leben für Alle beschwören.“ Und: „Gerade als besonders fortschrittlich gel­tende, gut gebildete, flexible, technologie- und mobilitätsaffine, kosmo­politisch orientierte Teile der Gesellschaft entwickeln Lebensstile, deren soziale und ökologische Nicht-Nachhaltigkeit zwar unbestritten ist, die aber als rechtmäßige und unverhandelbare Freiheit der Persönlichkeit betrachtet und verteidigt werden.“ Das sind nicht die einzigen schmerzhaften Erkenntnisse dieses unbedingt lesenswerten Buches.

Fortsetzung folgt.