Endlichkeit.
…es ist alles lächerlich, wenn
man an den Tod denkt.
Diese Worte Thomas Bernhards, gesprochen anlässlich der Verleihung des (Kleinen!) Österreichischen Staatspreises, sind wie wohl wenige andere Äußerungen deutschsprachiger Schriftsteller in Grund und Boden zitiert worden. Was nichts an ihrer „Wahrheit“ ändert. Der Tod ist die ultimative Referenz, und die Sicherheit seines Eintretens ist so ziemlich das Relevanteste, was man über unser Leben als Menschen sagen kann. Und so wie man Bernhards Äußerung auf die unterschiedlichsten Arten und Weisen interpretieren kann, sind sehr verschiedene Um- und Zugänge im Hinblick auf die Tatsache des uns bevorstehenden Ablebens denkbar. Das hat Relevanz für die „Rettung der Welt“. Wir sind endliche Wesen in einer endlichen Umwelt. Wenn wir mit der räumlichen Endlichkeit der Erde klarkommen wollen, müssen wir dasselbe mit unserer eigenen zeitlichen Endlichkeit schaffen.
Das mag manchem halbwegs trivial vorkommen, zumal die Verdrängung des Todes aus dem Leben der westlichen Gesellschaften ein hinlänglich bekanntes Phänomen ist. Es darf daran erinnert werden, dass wir es hier, um mit Udo Di Fabio zu sprechen, mit einem „Stück massiver Verdrängung in einer ansonsten alles aufdeckenden Gesellschaft“ zu tun haben. Das gilt auch – oder: gerade – angesichts der Tatsache, dass Krankheitsgeschichten halbprominenter Menschen, Unfallberichte und Obduktionsergebnisse medial breitgetreten werden. Hier wird gleichsam die Oberfläche unserer Endlichkeit ans Licht gezerrt – eine Auseinandersetzung, die diesen Namen verdienen könnte, wird damit wohl eher verhindert. Der Tod wird verdrängt. Es lohnt sich, das Verhältnis von räumlicher Endlichkeit und zeitlicher Endlichkeit in den Blick zu nehmen.
Dann wäre es ein Schritt nach vorne, sich darauf einzulassen, dass Konzepte wie „Wachstum“ und „Grenzen“ und „Knappheit“ ganz wesentlich kulturelle und, ja, psychologische Konstrukte sind, die mit unserer Endlichkeit in Verbindung stehen. Luigi Zoja hat das in seinem Buch über Growth and Guilt versucht. Grenzenloses Wachstum, schreibt Zoja dort, sei nichts anderes als eine geniale Metapher für Unsterblichkeit. Darauf sind schon andere gekommen, aber man darf das in Erinnerung rufen.
Robert Heilbroner – ein Ökonom! – hat in seinem Werk wieder und wieder auf den Zusammenhang von Psychologie und Ökonomie hingewiesen. In meiner Interpretation: Heilbroner verweist auf die Verstrickung psychologischer Faktoren mit der Dynamik moderner Kapitalakkumulation. Sehr vereinfachend: Zuerst kommt Freud, und dann erst Marx (oder Schumpeter). Dass Menschen ernsthafte Probleme damit haben, sich ihrer Endlichkeit zu stellen, hat etwas mit dem scheinbar unendlichen Streben nach mehr zu tun.
Heilbroner schreibt: „Weil der Expansionstrieb des Kapitals aber unstillbar ist, scheinen seine Wurzeln nicht so sehr bewusste Motivationen zu sein als vielmehr die Befriedigung unbewusster Triebe, insbesondere das universelle kindliche Bedürfnis nach Zuneigung und die Erfahrung unterdrückter Aggression. Solche Bedürfnisse und Triebe kommen in allen Gesellschaften zum Vorschein als Verlangen nach Prestige und persönlicher Macht.“ Und dieses Verlangen ist in der Aufmerksamkeitsökonomie nachgerade zu einem der Haupttreiber von Expansion geworden.
Was heißt das alles? Das heißt ganz wesentlich – und das lässt sich auch bei Zoja nachlesen –, dem Vorstellungsvermögen Aufmerksamkeit zu schenken, das nicht hinreichende, aber doch notwendige Voraussetzung für gesellschaftliche Veränderungsprozesse ist. Eine Kultur des Wachstums hat bestimmte sozialpsychologische Voraussetzungen, und dasselbe gilt natürlich für eine Kultur der Nachhaltigkeit. Man könnte sagen, dass heute die gesellschaftliche Phantasie fehlt, um sich eine positive gesellschaftliche Entwicklung vorzustellen, die ohne dauerhafte Expansion auszukommen in der Lage ist.
(Dieser Text ist ein leicht überarbeiteter Auszug aus dem Kapitel Großzügigkeit und Gesellschaft des Buches Endlich im Endlichen.)