Toni Erdmann for President!
Es ist ein bisschen fad, das gefühlt tausendste Loblied auf diesen Film anzustimmen. Ich tue es trotzdem. Denn: Es muss, allein schon wegen meiner österreichischen Freund/i/n/n/e/n, gefeiert werden, dass ein deutscher Film in den Kinos läuft, der international für seinen Humor gelobt wird. In Cannes haben die Leute gelacht und geweint und gejubelt – und in Wien tun sie das auch. Ich war dabei, und es war super.
Das Grundgerüst des Films darf als bekannt vorausgesetzt werden, also in einem Satz: Vater (Peter Simonischek) macht sich um seine Karrieretochter (Sandra Hüller) Sorgen und schafft es als „Toni Erdmann“ immerhin, die Verkrampfung zwischen den beiden zu lockern. Und zwar, weil die Tochter sich drauf einlässt.
Simonischek und Hüller spielen sich unter Maren Ades Regie gegenseitig an die Wand, dass es die reinste Freude ist – oder nein: Sie lassen sich so viel Platz, dass es die reinste Freude ist. Neben den mittlerweile wohl bekannten Sperma-, Gebiss- und Verkrampftheitsexzessen hat die Wirkung des Films eine weitere Ursache. Eine, die banal scheint, aber im Kino eben nicht sooo häufig vorkommt: Die Angelegenheit mit hat mit uns zu tun. „Wir“ ist ja fast immer falsch, hier nicht. Wir sind gemeint. Und zwar in doppelter Hinsicht.
Einmal: Wir sind auf das Vehementeste als Verwandte – also als Kinder und / oder Eltern und darüber hinaus – angesprochen. Das Treffen mit der hypergestressten Tochtermanagerin bei der Ex-Frau, das gemeinsame, unendlich scheinende Warten auf den Fahrstuhl, die Tränen, die erst dann fließen, wenn der Abschied vorbei ist: Sehr unwahrscheinlich, darin gar nichts wiedererkennen zu können. Und, wie so oft im Kino, hat das Anschauen und Drüberlachen eine erleichternde Wirkung. Zumal das alles wirklich komisch inszeniert ist.
Die andere Hinsicht: das Hier und Heute im Großen und Ganzen. Für das „Neoliberalismus“ bekanntlich ein oft gebrauchter, aber eben auch nur halb (wenn überhaupt) geeigneter Begriff ist. Aber wenn man an diesen Begriff glaubt, findet man in diesem Film die Quintessenz der Sache in einer Szene, die nicht einmal eine Minute dauert. Nach einem mitteldramatischen Blusentausch auf der Damentoilette wird die Tochtermanagerin aus dem Nichts von ihrer Assistentin gefragt, ob denn sie, die Managerin mit ihrer, der Assistentin, Performance zufrieden sei. Die Antwort ist fast egal, der Witz ist, wie verdichtet hier die Logik einer von Leistungs- und Effizienzdenken dominierten Welt auf den Punkt gebracht wird.
Ermutigend, wenn auch vielleicht nur von mittlerer Reichweite, was die realen Erfolgschancen angeht: Der Film zeigt auf allerschönste Weise, wie man dieser Logik zumindest auf Alltagsebene ein Schnippchen schlagen kann: Man setzte eine Perücke auf den Kopf und stecke ein künstliches Gebiss in den Mund und rede schlau daher – und schon hebelt man Dinge aus, die gerade noch nach betonfester Inflexibilität aussahen. Wie Erdmann alias Simonischek mit Gebiss, Perücke und Coachinggequatsche durchkommt, ist einfach zum Totlachen und zum Hoffnungmachen. Simonischek for President!
Toni Erdmann. Deutschland / Österreich 2016. Regie: Maren Ade. Mit Peter Simonischek, Sandra Hüller und anderen.