Triste Wissenschaft in harten Zeiten. Über wirtschaftliche Hoffnung.

Unter den Texten, die ökonomisches Denken und langfristige Gesellschaftsperspektiven zusammenbringen, gehört John Maynard Keynes’ Economic Possibilities for Our Grandchildren ohne Zweifel zum Besten, was man lesen kann. Die titelgebenden Möglichkeiten der Enkel schätzt Keynes 1930 mitten im Desaster der Weltwirtschaftskrise überaus positiv ein: Er sieht eine Zukunft, die kein Wachstum mehr braucht und in der weniger gearbeitet werden kann. Das wirtschaftliche Problem der Menschheit – Knappheit – werde gelöst sein, ist er überzeugt. Natürlich gehört Keynes mit seiner Prognose zu den Säulenheiligen der Vertreter einer Postwachstumsökonomie, die ohne Dauerexpansion auskommt.

Wo Keynes sich ein Ende von Wachstum und Knappheit geradezu als ökonomisches Paradies vorstellt, sahen die klassischen Ökonomen – mit der sehr wichtigen Ausnahme John Stuart Mill – Knappheit als höchst aktuelles Problem und in einer wachstumslosen Wirtschaft eher eine Art ökonomisches Fegefeuer. So schrieb Adam Smith in seinem Buch über den Wohlstand der Nationen – für viele die Geburtsurkunde der modernen Wirtschaftswissenschaft –, dass „das Los der ärmeren Arbeiter und damit der Masse der Bevölkerung offenbar dann am leichtesten und besten ist, wenn die Gesellschaft auf dem Wege zu weiterem Wohlstand ist und nicht schon den Zenit des Reichtums erreicht hat. Ihr Los ist hart in einer stationären und erbärm­lich in einer schrumpfenden Wirtschaft. Der Aufschwung ist in der Tat für alle Schichten erfreulich und willkommen, die Stagnation hingegen lähmend und der Niedergang trostlos.“ Trostlose Zukunftsaussichten waren lange ein Markenzeichen der Ökonomik, die damals noch Politische Ökonomie war. Deshalb trägt sie seit dem 19. Jahrhundert einen zweifelhaften Ehrentitel, den ihr der Historiker Thomas Carlyle verpasst hat: the dismal science – die triste Wissenschaft.

Dieses Titels darf man sich in diesen Tagen erinnern. Auch wenn Star-Ökonom Tomas Sedlacek meint „Wir können uns diese Pause leisten“ und der als Zukunftsforscher firmierende Matthias Horx das ganz ähnlich sieht – im wahren Leben haben wir es mit Pleiten, hoher Arbeitslosigkeit und brutaler Knappheit zu tun. Die „Pause“ können sich einige privilegierte Menschen sicher locker „leisten“, für viele andere stehen womöglich überaus traurige Zeiten ins Haus. Sicher wäre es schön, wenn aus dieser Krise langfristig etwas gelernt würde – zum Beispiel die Fragwürdigkeit struktureller und politischer Wachstumsabhängigkeit. Aber in diesen Wochen haben „wir“ wohl ganz andere Sorgen.

Die Diskussion über das Spannungsfeld zwischen Gesundheitsschutz und den ökonomischen Kosten von Shutdowns beginnen bereits. Man darf fürchten, dass hier höchst unerfreuliche Debatten ins Haus stehen. Kein Wunder, dass die ökonomischen Aspekte von Katastrophen neue Aufmerksamkeit erfahren. Der Economist bringt es diese Woche mal wieder auf den Punkt: Der Kampf um die Rettung von Menschenleben und Wirtschaft, schreibt das britische Wirtschaftsmagazin, werde die Welt wahrscheinlich vor „qualvolle“ Entscheidungen stellen. In der Tat – von den rosigen Zukunftsaussichten à la Keynes sind wir in diesen Tagen denkbar weit entfernt.

Worauf soll man da hoffen? Nun: Autoren wie Keynes und Mill lesend zu ökonomischen Langfristperspektiven zu befragen, kann zumindest trösten. Die Einsicht, dass wirtschaftliche Entwicklung ein offener Prozess ist, vielleicht auch: Schumpeters „schöpferische Zerstörung“ enthält eben nicht nur Destruktion, sondern auch Kreativität. Und auf die darf man wirklich hoffen. Meine persönliche Hoffnung: dass die absehbaren Konjunktur- und Investitionsprogramme nicht der überholten Logik quantitativer Wachstumsorientierung folgen, sondern öko-soziale Kriterien berücksichtigen. Dass die Europäische Union es schafft, wenigstens auf diesem Feld stark und inspirierend zu agieren (und nicht schwach und verzagt). Und dass Nachhaltigkeit und Klimaschutz als ökonomische Chancen gesehen werden. Naiv? Wir werden sehen.