V8, Vernunft, Verantwortung

V8, Vernunft, Verantwortung

„Will nicht spar’n will nicht vernünftg sein, Tank’ nur das gute Super rein. Ich mach’ Spaß! (…)
Und kost’ Benzin auch 3 Mark 10 Scheißegal, es wird schon geh’n. Ich will fahr’n! Ich will Spaß!“
(Markus)

Wolfgang Sachs ist einer der bedeutendsten Stimmen im Diskurs über Nachhaltigkeit. Kein Wunder, dass er auch über die Die Liebe zum Automobil und damit eine Kulturgeschichte des Autos geschrieben hat. Denn Sachs hat ein sicheres Gespür für die Relevanz von Kultur, Konstruktionen von Normalität und Faktoren, die jenseits der Nach­hal­tigkeit die Möglichkeiten und Grenzen von Nachhaltigkeit beein­flus­sen – was er nicht mit vielen teilt. Leider, weil: Man muss nicht Antonio Gramsci gelesen haben, um die Bedeutung der Alltagskultur für ein Pro­jekt wie „nachhaltige Entwicklung“ sehen zu können. Das Dum­me ist nur, dass diese Kultur in diesem Diskurs kaum Beachtung findet. Wenn man an Dis­kussio­nen und Veranstaltungen über Nachhaltigkeit teilnimmt oder Texte zu die­sem Thema liest, kann man leicht den Eindruck gewinnen, dass das Design von Veränderungsplänen weitaus stärker betont wird als die Frage, wie man vom Hier und Heute aus­gehend diese Pläne praktisch werden lassen kann.

Es ist für die Verbesserung der Welt vielleicht verzichtbar, einen V- von einem Rei­henmotor und diesen von einem Boxermotor unterscheiden zu können oder zu wissen, was ein Mexican Standoff ist. Aber, wenn man es sich nicht zu einfach machen will und nicht am Leben vorbei analysieren und argumentieren und ausdenken will: dann hilft es, wenn man die Ge­sell­schaft, die verändert werden soll, auch kennt. Autos, Computerspiele, Filmkunst und Musik sind nur Beispiele für Dinge, die jenseits der Nachhaltigkeit zu liegen scheinen, jedoch von fundamentaler Bedeutung für die Antwort auf die Frage sind, wie diese denn in die Welt kommen könnte.

Der V8 ist nicht nur ein Verbrennungsmotor, bei dem die acht Zylin­der in V-Form angebracht sind. Er ist auch ein kulturelles Artefakt, das viele, sehr viele Menschen mit Kraft und Beschleunigung, mit Schönheit und Geschwindigkeit assoziieren. Nicht nur die US-amerikanische Pop­kultur hat dieser Faszination zahlreiche Denkmäler gesetzt. Herbert Grö­nemeyer hat eben nicht nur Bochum gegrölt, sondern auch den Opel Kadett (ein Auto mit 4-Zylinder-Reihenmotor) besungen. Songtitel wie dieser oder Little Red Corvette (ein Auto mit einer V8-Maschine übrigens) von Prince oder Little Deuce Coupe von den Beach Boys zeugen von der innigen Beziehung, die Menschen zu Autos auf­bauen können. Von den Beach Boys gibt es sogar einen Sampler mit lauter Car Songs. Darauf befindet sich auch das Lied This car of mine – eine Ode an die Freuden des Autofahrens und -besitzens. Dennis Wilson singt darin von seinem Automobil. Wie er es zum ersten Mal sah, es mit nach Hause nahm (also kaufte), wie schön es ist. Dieses technische Artefakt, singt Wilson, „means a heck of a lot to me.“ Ja, man kann Autos lieben. Manchmal spielen sie sogar Titelrollen in erfolgreichen Filmen wie Clint Eastwoods Gran Torino (ein Wagen mit, Sie ahnen es schon, V8-Motor). Auch von Batmans Batmobil gibt es übrigens Versionen mit V8-Maschine.

Diese Art von Liebe ist dem Diskurs über Nachhaltigkeit so fremd wir nur irgend­was (auch die Beach Boys, Clint Eastwood und Batman sind diesem Dis­kurs eher fremd). Dadurch wirft das Auto – als Beispiel für die Main­stream-Alltagskultur – gleich zwei wichtige Probleme für die Nach­hal­tig­keit auf. Erstens: Wir müssen das Auto langfristig loswerden, nicht nur die mit V8, son­dern eigentlich alle mit Verbrennungsmotoren. Und selbst wenn Elek­t­romobilität deut­lich spürbar auf dem Vormarsch ist: Individualverkehr ist generell ein Großproblem, wenn es um ökologische Nachhaltigkeit geht. Zweitens (und abgesehen von der global nach wie vor ansteigenden Verbreitung der hier in Frage gestellten Mobilitätsformen): Viele Nachhaltigkeitsbewegte verstehen die Liebe zum Automobil nicht, und schlimmer: sie wollen auch gar nicht verstehen – was es verdammt schwer macht, die Sache anzugehen. Die meisten Leute können mit Markus’ oben zitierten Zeilen aus dem Lied Gib Gas – Ich will Spaß wohl mehr anfangen als mit betroffenheitsgetränkten An­wei­sungen zu nachhaltigem Verhalten. Wenn man das nicht verstehen will, wird man es auch nicht verändern.

Deutschlands wichtigster Forscher und Publizist zum Thema „Nachhaltigkeit“, Harald Welzer, besitzt einen Mercedes (aller­dings „nur“ ein Modell mit 6-Zylinder-Reihenmotor) und gibt auch noch damit an. Das kann und will ich nicht toppen, stattdessen habe ich mich einem Selbstversuch unterzogen und mir ein Auto geliehen – das freilich war mein persönliches Erweckungserlebnis in Sachen Auto­versteherverstehen. Ich habe also ein Zeichen in Sachen Sharing Eco­nomy gesetzt und bin mit einem Freund einen Aston Martin DB9 gefah­ren (für die Insider: das Bild oben  zeigt natürlich keinen DB9 sondern einen Jaguar F-Type). Der DB9 hat keinen V8-, sondern einen V12-Motor – und: fast 6 Liter Hubraum, 517 PS, 620 Newtonmeter Drehmoment und beschleu­nigt von 0 auf 100 in 4,6 Sekunden. Treibstoffverbrach und CO2-Emissi­onen? Weniger als man denkt, aber das spielt bei einem solchen Gefährt auch keine Rolle. Wichtiger: Die Karre fährt in der Spitze 295. Muss man nicht ausfahren, aber man kann…

Warum ich Sie mit dieser privaten Geschichte behellige? Auch wenn das Private auch hier politisch ist: Sicher nicht, weil ich das ahnungslose Opfer einer überdrehten Spaßgesellschaft geworden bin. Sondern: Nun, die Fahrt mit diesem Ding war nicht nur eine spaßige Übung in Leben, Maßlosigkeit und Souveränität, sondern geradezu eine Er­leuchtung in Sachen „Nachhaltigkeit“. Wenn etwas, entschul­di­gen Sie das Wort, so geil ist, dann müssen Bestrebungen, es aus der Welt zu schaffen, wütenden Widerstand hervorrufen. Das heißt natür­lich nicht, dass alle einen Aston Martin oder andere Automobile be­sitzen sollen oder auch nur können und dass hier keine Veränderungen notwen­dig und auch möglich sind. Es heißt aber, dass einfache „Lösun­gen“, die völlig von der Faszination technischer Artefakte absehen, letztlich populistisch sind. Und auch diese Art von Öko-Populismus speist sich aus recht simplen Faktoren: der fel­senfesten Überzeugung, im Recht zu sein, der schlichten Unkenntnis über die Glücksrelevanz umweltunfreundlicher Aktivitäten und dem simplen Un­willen, dieser Unkenntnis mit Neugierde zu begegnen.

Was ich mit all dem nicht sagen will: Dass Bestrebungen Richtung Nachhaltigkeit sich der ressourcenintensiven Spaßkultur beugen und mit dieser vollständig kompatibel werden sollen. Nein, Nachhaltigkeit heißt – zumal dann, wenn man technische Lösungen für begrenzt hält – ganz wesentlich auch Kulturarbeit. Nur genau dafür muss man die Kultur, in der man agiert, auch kennen.

(Überarbeitete Fassung eines Textes, der erstmals in Öko-Populismus erschienen ist. Viel mehr zu diesem Thema findet sich in Endlich im Endlichen.)