Charisma und Kompetenz

Charisma und Kompetenz

Offenbar war das tatsächlich kein schlechter Aprilscherz: Ich lese (wohl mit einiger Verspätung) davon, dass ein österreichisches Schulbuch Christian Felber beim Thema „Wirtschaftstheorien“ in eine Reihe mit Friedman (!), Keynes (!!), Hayek (!?) und Marx (???!!!) stellt. Dabei weiß jedes Kind (außer denen, die mit solchen Schulbüchern lernen müssen), dass Christian Felber keine Wirtschaftstheorie hat – zumindest keine, die sich irgendwie mit den theoretischen Leistungen der genannten Herren vergleichen ließe (die von interessierter Seite gezogenen Vergleiche mit Karl Marx sind hanebüchen und sorgen sicher dafür, dass in London jemand im Grabe rotiert). Er ist nicht mal Erfinder der Gemeinwohlökonomie. Beides weiß wohl auch Christian Felber, und ich war zunächst ganz sicher, dass ihm selbst diese unfassliche Schulbuchgeschichte hochnotpeinlich sein würde. Ist sie aber nicht. Er bezeichnet die Sache als „Ehre“. Staunenswert, um das Mindeste zu sagen.

Gut: Sowenig wie man, dem oft zitierten Spruch zufolge, in der Bratpfanne gelegen haben muss, um über ein Schnitzel zu schreiben, sowenig muss man Volkswirtschaftslehre studiert haben, um etwas über die Wirtschaft sagen zu können. Aber: Fundierte Sachkenntnis schadet auch nicht, wenn man öffentlich über Dinge wie Wirtschaftsordnung oder Nachhaltigkeit spricht. Es mehren sich freilich die Anzeichen, dass bei diesen Themen das Charisma der Sprechenden viel größere Bedeutung zukommt. Dass große Worte und persönliches Charisma relevante Faktoren des politischen Diskurses sein können, muss man im deutschsprachigen Teil Europas wohl niemandem lange erklären. Man kann dabei an Max Weber denken oder an Adolf Hitler, aber  eben auch an gewisse Strömungen des zeitgenössischen Weltrettungsdiskurses.

Da es hier weniger um faktische Herrschaft und mehr um die Wirkung des Charismas im Rahmen von Weltrettungsbestrebungen geht, kann ich zumindest Weber links liegen lassen und mich recht bodenständig auf die alltagssprachliche Verwendung des Begriffs beschränken. Und dort meint Charisma vor allem „Ausstrahlung“. Charisma ist, so verstanden, grundsätzlich mal etwas Positives. Die mir persönlich bekannten Menschen, die Johannes Paul II. persönlich begegnet sind, waren hingerissen von dessen Charisma. Auch ansonsten kühle Köpfe geraten ob seiner Ausstrahlung ins Schwärmen; mir selbst geht es ähnlich, wenn ich an Brian Wilson, Bruce Springsteen, Annie Lennox oder Prince denke – und die habe ich zwar „live“, aber doch aus sicherer Entfernung erlebt. Die genannten Musiker nutzen ihr Charisma eigentlich nur für gute Dinge (oder?) – und es gibt auch Aktivistinnen und Politiker, die das tun. Charisma ist nicht per se schlecht, Ausstrahlung und Begeisterung können zur Verbesserung der Welt beitragen (Julia Encke hat dazu ein Buch geschrieben, das ich nicht gelesen habe). Gleichwohl hat die Sache Risiken und Nebenwirkungen: Charisma kann verführen – und nicht nur zu guten Dingen. Und: Charisma kann substituieren – und zwar zum Beispiel fachliche Kompetenz oder demokratische Legitimation. Das zeigt sich im Großen, aber auch im Kleinen.

Die erwähnte Schulbuchsache hat vielleicht mehr mit Charisma als mit Kompetenz zu tun. Aber nehmen wir ein anderes prominentes Beispiel für die Relevanz dieser Faktoren im aktuellen Weltrettungs- und -verbesserungsdiskurs: Heini Staudinger hat jede Menge Charisma – das wird jeder bestätigen, der den Mann einmal bei der Arbeit erlebt hat. Seine Auftritte entfalten bei manchen Menschen eine vehement verzückende und begeisternde Wirkung. Herr Staudinger hat sich vom Schuhverkäufer zum professionellen Weltrettungsaktivisten befördert („Bei der Arbeit“ heißt denn hier auch nicht Schuhproduktion, -marketing oder -verkauf, sondern Redenproduktion, Weltrettungsmarketing und Weltverbesserungskonzepteverkauf). Schuhverkäufer ist er immer noch – nein, nicht wie Al Bundy, sondern als bemerkenswert erfolgreicher Unternehmer, der unter Beweis gestellt hat, dass er das Schuhgeschäft draufhat. Heini Staudinger ist ein sehr erfolgreicher Mann der wirtschaftlichen Praxis.

Das Sprichwort „Schuster, bleib‘ bei deinem Leisten“ kennt er sicher, allein, er mag ihm nicht folgen. Er produziert nicht nur Schuhe im Waldviertel, sondern auch sich selbst und seine wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ideen bei Vorträgen, Podiumsdiskussionen und Fernsehshows. Das ist, daran kann es keinerlei Zweifel geben, sein gutes Recht. Aber man darf fragen, welche Rolle Kompetenz und Charisma spielen, wenn es um die Erörterung der Frage geht geht, wie Wirtschaft funktionieren soll und funktionieren kann. Nicht nur in Schulbüchern.

PS: Dass es bald einen Schuh-Film geben wird, wird uns natürlich auch noch beschäftigen – naheliegenderweise in der Abteilung Kino und Kultur.

(Dieser Text enthält Teile des Kapitels Charisma aus Öko-Populismus.)