Wehret den Anfängen: Gegen intellektuelle Helmpflicht und das Recht auf Beleidigtsein

So gut wie alles, was in den USA erfolgreich ist, schlägt irgendwann auch bei uns auf und wird wirksam. Und was in den USA gerade verdammt erfolgreich ist, sind verschiedene Varianten der politischen Korrektheit. Auch ich habe mich daran beteiligt, PC zu kritisieren, und es ist bisweilen ein leichter Spaß, die Vertretenden dieser Denkungsart zu verhöhnen. Bei dem, was sich aktuell zusammenbraut und sich früher oder später auf den Weg zu uns machen könnte, bleibt einem das Lachen allerdings schnell im Halse stecken.

Eine relevante Zahl von Studierenden schickt sich an, an US-amerikanischen (und britischen) Universitäten der Meinungsfreiheit den Garaus zu machen. „Trigger warnings“, „save spaces“ und „microaggressions“ sind Schlüsselbegriffe dieser Entwicklung, die dazu führen könnte, dass Studentinnen und Studenten im Studium nicht mehr mit kontroversen Inhalten konfrontiert, sondern vor ihnen bewahrt werden. Ein Szenario, in dem Studierende am Ende nur noch geschützt und nicht mehr herausgefordert werden, erscheint leider nicht unplausibel.

Zur Debatte steht, ob man Studierende mit Positionen, Argumenten und Weltsichten konfrontieren soll, die diese missbilligen – oder ob man Universitäten zu Orten pseudointellektueller Kuschelübungen verkommen lässt, an denen Vielfalt nichts und Homogenität alles ist. Was sich gerade an vielen englischsprachigen Universitäten tut, ist nicht weniger als die lebensbedrohliche Gefährdung der Universität als Institution der intellektuellen Auseinandersetzung.

Das gilt es abzuwehren. In den Worten Chris Pattens, Kanzler der Universität Oxford: „Natürlich gibt es Gedankengut – Aufwiegelung zum Rassenhass, Anfeindungen aufgrund des Geschlechts oder politische Gewalt –, das jeder freien Gesellschaft ein Gräuel ist. (…) Doch Intoleranz gegenüber Debatten, Diskussionen und bestimmten Wissenschaftszweigen darf nie toleriert werden.“ Patten schreibt das in einem Beitrag mit dem Titel Der wissenschaftliche Geist ist in Gefahr. Das ist er. In einem Maße, das nicht unterschätzt werden sollte.

Wer das übertrieben findet, dem seien zwei Beiträge ans Herz gelegt – wobei ich im Sinne einer paradoxen Intervention vielleicht davor warnen sollte, dass diese Texte wahrlich schröckliche Dinge zur Sprache bringen… The Coddling of the American Mind von Greg Lukianoff und Jonathan Haidt ist im Atlantic erschienen. Die Debatten-Polizei wurde in der Zeit veröffentlicht. Von wem? Keine Ahnung – die Person traut sich nicht, ihren Namen zu nennen aus Furcht, damit im Hinblick auf ihre Karriere „eine besonders effektive Form des Selbstmords“ zu begehen. Wohlgemerkt: Ein an einer amerikanischen Universität lehrender Mensch sieht seine Berufsperspektiven dadurch gefährdet, dass er seine Meinung äußert…

Dass diese Angst sehr gut begründet sein könnte, zeigt der Beitrag von Lukianoff und Haidt. Wer wahrhaft abstruse Beispiele für universitäre Korrektheitsexzesse sucht, findet in diesem Text Material, das einem die Haare zu Berge stehen lässt. Und natürlich wird dort auch der vielzitierte Fall der in Yale lehrenden Kinderpsychologin Erika Christakis erwähnt. Nun, sie lehrt nicht mehr in Yale. Nach der Diskussion über sie hat sie sich zurückgezogen. Was war passiert? Nun, Frau Christakis hatte problematisiert, ob eine Universität ihren Studierenden wirklich vorschreiben sollte, welche Halloween-Kostüme politisch korrekt und damit akzeptabel sind (Sie ahnen es, Indianerschmuck gehört nicht dazu…).

Nicht umsonst spricht die Oster-Ausgabe der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (in einem Beitrag, der sich umfänglich auf den oben zitierten Text aus dem Atlantic bezieht) vom „Ruf nach einer Art intellektuellen Helmpflicht“. Dass diese Helmpflicht sehr schlecht für produktive Debatten ist, dürfte sich von selbst verstehen. „Ich will nicht irgendwelche Debatten führen müssen,“ äußerte sich laut der Zeit eine Studentin in der Kostüm-Kontroverse in Yale. „Ich will über meinen Schmerz reden.“ Bei aller Empathie: Wenn dieser Geist weiter an Bedeutung beginnt, werden wir gerade Zeugen des Anfangs vom Ende der Universität, wie wir sie kennen.

Was man dagegen tun kann und was die Sache mit Reinheit, Opferstolz, verwöhnten Millennials, Innovationsfähigkeit, Herfried Münkler und Humorlosigkeit zu tun hat – dazu bald mehr. Nicht heute. Aber hier.