Responsible Science. Zehn Anmerkungen.

Wie mit großen Herausforderungen wie Kimawandel umzugehen ist, treibt auch die Wissenschaft um. Nachlesen kann man das zum Beispiel beim Wissenschaftlichen Beirat der deutschen Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU), in Forschungsprogramm, Büchern über Transformative Wissenschaft oder aktuell in mehreren Beiträgen in der Zeitschrift GAIA. Es geht um Wissenschaftlichkeit, Verantwortung und Kommunikation.

1.Verantwortung und Nachhaltigkeit

Zur Bewältigung der „großen Herausforderungen“ (wie Klimawandel, Ressourcenknappheit und Migration) und zu einer nachhaltigen Entwicklung beizutragen, gehört zum Verantwortungsbereich der Universitäten (besonders derjenigen, die aus staatlichen Mitteln finanziert werden). Die Verantwortung für die Umwelt ist zum Beispiel in Österreich im § 1 des Universitätsgesetzes explizit erwähnt. Darüber hinaus ist klar, dass Bürgerinnen und Bürger – und letztlich alle Stakeholder – von Universitäten erwarten, dass Hochschulen zur Lösung gesellschaftlicher Probleme beitragen.

2. Wirkung und Gesellschaft

Damit steht die Wirkung von Wissenschaft auf der Tagesordnung. Die Karriere des Begriffs „third mission“ verweist auf diesen Bedeutungsgewinn von Aktivitäten, die über die „first and second mission“ (also Lehre und Forschung) hinausweisen. Universitäten werden damit zu gesellschaftliche Akteuren, die ihr Tun und Unterlassen der Gesellschaft gegenüber in neuer Weise zu rechtfertigen haben. Diese Rechenschaft abzulegen, ist Teil eines verantwortungsvollen Wissenschaftsbetriebes.

3. Die Logik des Wissenschaftssystems: Impact Factor statt Impact

Diese Art von Wirkung ist im aktuellen Wissenschaftssystem freilich nach wie vor kein wirksames Erfolgskriterium. Dort ist der Impact Factor von Publikationen unendlich wichtiger als gesellschaftlich relevantes Engagement und sein Impact. Das kurzfristig ändern zu wollen, wäre wohl illusorisch. Es ist aber möglich – und auch notwendig –, Kriterien wie Verantwortung und Nachhaltigkeit wirksamer werden zu lassen, zum Beispiel im Rahmen von Forschungsförderung.

4. Verantwortung und Freiheit: Naivität ist gefährlich

Dabei wäre es gefährlich, nicht die überragende Bedeutung der Wissenschaftsfreiheit zu betonen und zu schützen. Leichtfertig Ansprüche im Sinne von gesellschaftlicher Verantwortung, Nachhaltigkeit oder Transformation zu formulieren, ist nicht zielführend. Verantwortung und Freiheit bedingen einander und dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden.

5. „Transformationsforschung“ ist nicht gleich „transformative Forschung“

Transformationsforschung ist die Erforschung der Möglichkeiten und Grenzen transformativer Prozesse, die zur Lösung der „Grand Challenges“ beitragen können. Transformative Forschung ist selbst ein solcher Prozess, aber eben nicht identisch mit Transformationsforschung. Die Zuschreibung „Transformative Forschung“ ist aufgrund der oben skizzierten Spannungsfelder nicht ohne Risiko. Verantwortliche Forschung kann transformativ sein – aber sie muss es nicht. Was sie sein muss: wissenschaftlich.

6. Multi-, Inter- und Transdisziplinarität

Die Zusammenarbeit von Disziplinen, interdisziplinäres Forschen und die Einbeziehung externer Stakeholder in den Forschungsprozess sind Voraussetzungen dafür, dass Wissenschaft wirkungsvoll Verantwortung übernehmen kann. Was bisweilen übersehen wird: Die Öffnung disziplinärer Strukturen bedeutet nicht das Ende disziplinärer Exzellenz – im Gegenteil: Diese Form der Exzellenz ist oft die Grundlage qualitätsvoller Inter- und Transdisziplinarität. Beide Komponenten einer verantwortungsvollen Wissenschaft dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Und: Neue, „grenzüberschreitende“ Forschungsansätze bedeuten in der Regel einen Mehraufwand, der zu berücksichtigen ist.

7. Zivilgesellschaft und Wissenschaft: Citizen Science

Bürgerinnen und Bürger – Nicht-Fachleute – spielen bereits eine Rolle in der Wissenschaft, und diese Rolle wird wichtiger werden. Dieser Faktor erhöht – wie einige der eben genannten Punkte auch – die Kommunikationserfordernisse an die Wissenschaft. Darüber hinaus stehen mit dem transdisziplinären Anspruch, Laienwissen einzubeziehen, auch überkommene Rollenverteilungen zur Disposition.

8. Stakeholder und Kommunikation

Wissenschaftlichkeit heißt Rigorosität – aber im Zeichen von Verantwortung und Nachhaltigkeit auch Relevanz. All das bedeutet nicht zuletzt, dass Wissenschaft Kommunikationsformen finden muss, mit denen Menschen erreicht werden können, die nicht Teil der scientific community sind. Diese Aufgabe ist nicht trivial. Es spricht einiges dafür, dass Investitionen in die Kommunikationsfähigkeit von Forschenden gut angelegte Mittel sind, wenn man sich einer verantwortungsvollen Wissenschaft verpflichtet fühlt – nicht nur im Spezialfall „Citizen Science“. Die Frage des Zugangs zu Wissen(schaft) berührt auch das Thema „Open Science“.

9. Herausforderungen für die Wirtschafts- und Sozialwissenschaften

Nicht erst seit der Finanzkrise wird die Ökonomik nach der Relevanz ihrer Ergebnisse gefragt. Modellhuberei und Realitätsferne – und damit faktische Irrelevanz – sind Standardvorwürfe. Seit einiger Zeit kommen von studentischer Seite Forderungen nach einer „postautistischen“ und jüngst auch „pluralen“ Wirtschaftswissenschaft. Diese wichtige Debatte hat unmittelbare Relevanz für die Verantwortung von Forschung (und Lehre) für den gesellschaftlichen Umgang mit „Grand Challenges“.

10. Die Gefährdung der Universität als Ort des freien Denkens

Die Verwerfungen, die die Ideologie der „politischen Korrektheit“ in den USA bereits jetzt hervorgerufen hat, haben offensichtliche Bedeutung für die Möglichkeit, verantwortungsvoll Wissenschaft zu betreiben. Wo die freie Rede eingeschränkt wird (und sei es aus noch so edlen Motiven), wird verantwortungsvolle und wirksame Wissenschaft eingeschränkt und letztlich unmöglich.